TS 04: Das endlose Schweigen
anwenden.“
Gary ließ das Buch sinken, und seine Augen starrten ins Leere.
Der Feind hatte es angewendet. Welcher Feind?
Amerika war in zwei Lager geteilt: in den verseuchten und zum Tode verurteilten Osten, und in den noch sauberen Westen. Die Regierung hatte angeordnet, daß die Überlebenden des Seuchengebietes zu sterben hatten, damit ein Teil der Nation gerettet wurde.
Die Strahlen der untergehenden Sonne trafen seine Augen. Er nahm das Buch unter den Arm und suchte den Ausgang. Sein Wagen stand an der Stelle, an der er ihn geparkt hatte. Das Buch legte er auf den Rücksitz, ehe er den Motor einschaltete und startete.
Er war immun, das stand fest. Allein die letzte Woche hatte das eindeutig bewiesen. Was also konnte geschehen, wenn er den Strom überquerte und wieder die Uniform anzog? Hier würden bald die Lebensmittel knapp werden, außerdem waren sie verseucht …
… aber er hatte gegessen und auch Wasser getrunken.
Der Motor lief, aber Gary wartete immer noch. Er dachte nach und versuchte, das Rätsel seiner Immunität zu lösen. Sicher, er hatte nur Konserven angerührt und nur Flüssigkeiten getrunken, die in Flaschen vorhanden waren. Aber rasiert hatte er sich doch mit richtigem Wasser? Was wäre geschehen, wenn die Wasserleitungen noch funktioniert und er davon getrunken hätte?
Aber einmal waren auch die Konserven zu Ende, denn es gab noch genug Überlebende im Osten der Vereinigten Staaten. Was dann?
Erneut würde die Seuche sich ausbreiten, und der Kampf um das nackte Leben würde mit noch größerer Erbitterung ausgetragen werden. Ein Mann war dann entweder sehr schnell – oder er war tot.
Gary entschloß sich, lieber schnell zu sein. Es wurde ihm klar, daß er bereits zu viel Zeit verschwendet hatte. Er fuhr an, hielt noch an verschiedenen Geschäften, um sich mit dem Nötigsten zu versorgen, dann suchte er die Ausfallstraße.
Kurz dachte er an die neunzehnjährige Irma. Wo mochte sie jetzt sein, nachdem er sie verlassen hatte? War sie auch immun gewesen?
Er fuhr nach Süden und kümmerte sich nicht um die angebrochene Nacht. Der weiße Streifen in der Mitte der Fahrbahn ersparte ihm die Scheinwerfer, die nur unnötige Aufmerksamkeit erregt hätten. Einmal erblickte er am Horizont einen blutroten Schein – sicher wieder ein Farmhaus, das von Plünderern heimgesucht worden war.
Erst als der Morgen graute, hielt er kurz an und gönnte sich eine Ruhepause. Er verließ den Wagen und streckte seine Glieder. Die letzten Sterne verblaßten, und es war sehr still. Nur ein vertrautes Geräusch, das langsam näherkam, erregte schließlich seine Aufmerksamkeit, und plötzlich wußte er, was es war: ein Fahrzeug näherte sich ihm. Zwei helle Punkte verrieten die Scheinwerfer.
Mit einigen Sätzen war er in seinem Wagen und fuhr ihn zur Seite. Dann riß er die Tür auf und sprang in ein nahes Gebüsch. Sein Fahrzeug mußte jetzt den Eindruck erwecken, als habe sein Besitzer es schon seit langem verlassen.
Der fremde Wagen kam näher. Reifen quietschten, und einmal, als der Wagen dicht an ihm vorbeiraste, vermeinte Gary einen kurzen Schrei zu hören.
Warum hatte der Kerl nur so ein Höllentempo drauf?
Gary hockte in seinem Versteck und sah den Schlußlichtern nach, bis sie in der Ferne verschwunden waren. Seinen Wagen hatte der Fremde überhaupt nicht beachtet.
Langsam ging er wieder zu seinem Fahrzeug zurück und überlegte, warum der andere wohl so gerast sei. Sein Blick fiel auf seine eigenen Rücklichter, die beim Bremsen aufleuchteten. Ohne zu überlegen, zerschmetterte er sie mit einigen Fußtritten. Er dachte daran, wie weit er den andern Wagen noch hatte sehen können.
Dann stieg er ein und setzte sich erneut in Richtung auf Kentucky in Bewegung. Das Fenster ließ er offen, um früh genug einen Verfolger zu bemerken. Den Rückspiegel ließ er nicht mehr aus den Augen.
Erst als die Sonne aufgegangen war, fuhr er in einen holperigen Seitenweg hinein und versuchte dann, ein wenig zu schlafen.
* *
*
Die Brücke über den Mississippi war eine der wenigen, die noch nicht gesprengt worden war. An zweien war er schon vorbeigekommen, aber in ihrer Mitte klaffte jedesmal ein breiter Spalt, herausgerissen von der Gewalt detonierten Sprengstoffes.
Auf der andern Seite der Brücke standen Soldaten, im Wasser lag ein kleiner Truppentransporter, dicht an den Pfeilern verankert. Ein schwerer Lastwagen versperrte die Fahrbahn. Auf ihm beschäftigten sich zwei Mann mit einem
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