TS 04: Das endlose Schweigen
gesprengt.“
„Dann werde ich schwimmen“, entgegnete Gary und lenkte den Wagen auf die Straßenmitte.
* *
*
Die Brücke bei Savannah war ein mächtiges Stahlgebilde und verband das felsige Ufer von Illinois mit dem Strand von Iowa. In der Mitte jedoch klaffte ein breiter Spalt, und die zerrissenen Metallstreben zeugten von der Explosion.
Gary hielt fast einen Kilometer von der Brücke entfernt, weil eine Schlange von Autos den Weg versperrte. Er stieg aus und schirmte die Augen mit der Hand ab, um die Gruppe Soldaten besser erkennen zu können, die auf der Iowaseite der Brücke standen.
Irma kam aus dem Wagen und schob ihren Arm unter den seinen.
„Russell, willst du mich jetzt verlassen?“
Er zeigte in Richtung der Soldaten.
„Ja. Ich gehöre zu ihnen.“
„Aber Russell, du kannst mich doch jetzt nicht einfach allein lassen. Was soll ich denn tun ohne dich?“
Er sah sie an.
„Es ist mir gleich, was du tun wirst; ich muß mich bei der Truppe melden, denn ich bin schon seit einer Woche überfällig. Du kannst meinen Wagen nehmen und die Gewehre. Lebensmittel hast du für lange Zeit – und deine Juwelen. Such dir einen andern Mann, mit dem du zusammenleben willst. Mir ist es egal.“
Er ging einfach davon, ohne sich noch einmal umzudrehen. Als er vielleicht fünfzig Schritte getan hatte, rief sie:
„Russell? Auf Wiedersehen!“
„Auf Wiedersehen, Darling! Paß auf dich auf!“
Er erreichte die Menschen, die am Anfangsstück der Brücke standen und nach Iowa hinüberschauten. Die Brücke war zerstört, und man konnte auf ihr nicht mehr an das andere Ufer gelangen. Ein Boot würde das einzige Mittel sein. Einer der Soldaten drüben beobachtete ihn durch einen Feldstecher. Gary winkte ihm zu, aber der Soldat winkte nicht zurück. Gary zuckte mit den Schultern und wandte sich ab.
Er fand einen Mann, der ihn an einen Fischer erinnerte. Es konnte auch ein Fährmann sein.
„Gibt es Boote hier?“ fragte er ihn.
„Jetzt nicht mehr“, erhielt er zur Antwort.
„Ich muß über den Fluß, zur Armee.“
„Sie sind Soldat?“
„Ja.“
„Keine Möglichkeit“, sagte der Alte und spuckte aus.
„Es muß doch ein lächerliches Boot aufzutreiben sein.“
„Das letzte ist dort“, entgegnete der Alte und zeigte stromabwärts. „Der Bursche versuchte auch, über den Strom zu gelangen.“
„Welcher Bursche? Was ist mit ihm?“
„Sie haben ihn erschossen.“
„Erschossen? Wer hat ihn erschossen?“
„Die Soldaten auf der andern Seite. Er versuchte ebenfalls, zu ihnen zu gelangen. Vielleicht war er auch Soldat.“
Gary trat einen Schritt zurück und starrte den Alten an.
„Mann, sind Sie denn ganz verrückt geworden?“
„Irgend jemand wird es schon sein“, nickte der Alte. Er suchte in seinen Taschen herum und zog ein rosa Stück Papier hervor. Er reichte es Gary. „Keiner darf über den Fluß. Wir sind verseucht.“
Auf dem Papier stand ein militärischer Befehl, der besagte, daß alles Gebiet östlich des Mississippi strengster Quarantäne unterworfen sei und niemand den Strom überqueren dürfe. Der Feind habe, so hieß es, atomare Bomben und bakteriologische Kampfstoffe abgeworfen. Unterzeichnet war der Zettel vom Kommandeur der VI. Armee.
„Wo haben Sie den Wisch her?“ fragte er den Alten.
„Sie warfen sie mit Flugzeugen ab.“
Gary las den Zettel noch einmal und gab ihn dann zurück. Er sah hinüber zum andern Ufer. Nicht nur auf der Brücke standen Soldaten, es patrouillierten auch welche flußauf und flußab.
„Haben sie denn den ganzen verdammten Fluß unter Bewachung?“
Der Alte nickte.
„Es scheint fast so. Wir sind eben verseucht, Mister.“
Gary wandte sich ab und starrte in die Gesichter der Menschen, die sich angesammelt hatten. In ihren Gedanken las er Haß und Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Unsicherheit. Sie standen da und warteten, vielleicht auf ein Wunder.
Gary glaubte nicht an Wunder.
Langsam bahnte er sich einen Weg durch die Menge und ging zu der Stelle zurück, an der er seinen Wagen hatte stehen lassen.
Sowohl der Studebaker wie auch Irma waren verschwunden.
Er fluchte zornig vor sich hin, daß sie nur so kurze Zeit gewartet und alles mit sich genommen hatte, was er zum Leben benötigte: Konserven, Wagen, Waffen und Munition. Mit keinem Gedanken war er sich seiner eigenen Schuld bewußt. Er hätte sich am liebsten aufgemacht um sie zu suchen. Bestraft hätte er sie dafür, daß sie ihn verlassen hatte.
Dann
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