TS 04: Das endlose Schweigen
nehmen, nahm er staunend zur Kenntnis, daß Sally einstieg und sich einfach neben ihn setzte. Sie rückte recht eng heran, um noch ein wenig Platz für Gary zu lassen, der immer noch Wache hielt.
Oliver sagte nichts, sondern hupte einmal kurz.
Gary kam herbei und setzte seinen Fuß auf das Trittbrett, um in die Kabine zu klettern. Mitten in der Bewegung hielt er inne und starrte wortlos auf das Mädchen.
„Will sie mitkommen?“ fragte er nach einer langen Zeit endlich.
„Sieht ganz so aus“, grinste Oliver und konnte seine Zufriedenheit nicht ganz verbergen.
„Mit dir?“ erkundigte sich Gary ohne besondere Betonung.
„Mit uns!“ verbesserte ihn Oliver. „Bisher haben wir alles geteilt, sowohl Freud wie Leid. Warum nicht auch die Sorge um Sally?“
Gary zögerte keine Sekunde mehr. Er stieg in die Kabine und schlug die Tür hinter sich zu.
„Es soll mir recht sein“, sagte er und stellte das Gewehr zurecht.
Oliver setzte den Wagen in Gang, und bald kamen sie auf die Straße, die aus den Bergen heraus in die flachen Weiten von Georgia und Alabama führte. Am Himmel waren Wolken.
Nach einer Weile brach Oliver das Schweigen, das sich über die drei Menschen gelegt hatte.
„Der Corporal und ich sind Partner.“
Das Mädchen sah ihn erstaunt an, doch er verstand es falsch.
„Ich meine Gary, er ist Corporal.“
„Soldat?“ zeigte Sally einiges Interesse.
„Wir sind beide Soldaten und Partner. Wir teilen alles.“
Sie sah ihn forschend an und der Wagen rumpelte weiter über die nicht besonders gute Straße.
„Ich habe dich sehr gern“, sagte Sally plötzlich zu Oliver.
Er warf ihr einen kurzen Blick zu und lächelte.
„Danke, Sally“, erklärte er ihr. „Ich habe dich auch gern. Aber das kann nichts an der Abmachung zwischen mir und Gary ändern: alles wird brüderlich geteilt.“
Sally dachte über die Worte nach.
„Du willst, daß ich zu beiden nett bin?“
„Ganz recht“, nickte Oliver. „Oder zu keinem!“
Und wieder kehrte das vorherige Schweigen zurück. Nur das gleichmäßige Brummen des Motors unterbrach die Stille, und es hatte etwas Beruhigendes an sich. Das Mädchen betrachtete unablässig den links neben ihr sitzenden Oliver und studierte sein Gesicht, als erhoffe sie sich davon eine Antwort auf ihre vielen Fragen. Mehr als einmal kreuzten sich ihre Blicke, und Gary widmete sich eifrig dem Studium der Landschaft und täuschte äußerste Wachsamkeit vor.
Das Fahrzeug holperte durch eine unbekannte Stadt, die restlos verlassen schien. Alle Geschäfte waren geplündert, und sie fanden nichts mehr, was ihnen von Nutzen hätte sein können. Endlich verschwanden die letzten Häuser hinter ihnen, und vor ihnen war wieder nur die Straße.
„All right“, sagte das Mädchen plötzlich, als habe sie einen Entschluß gefaßt. „Ich werde nett zu beiden sein.“
„Das freut mich zu hören“, eröffnete Oliver ihr. „Seien wir alle drei Partner.“
„Aber dich habe ich doch lieber!“ fügte Sally sehr schnell und überraschend hinzu.
* *
*
Immerhin dauerte es etliche Tage, bis sie das ganze Land durchquert hatten und den Mexikanischen Golf erreichten. Sie vermieden es, Städte oder größere Ansiedlungen zu berühren und benutzten sehr oft schlechte und mit Schlaglöchern übersäte Landstraßen. Mehr als einmal begegneten sie anderen Fahrzeugen oder wurden von solchen überholt; aber man hielt weder an, noch tauschte man Neuigkeiten aus. Jeder saß in seinem Wagen, die Waffen voller Mißtrauen bereit. Die Zeit der krankhaften Neugier war scheinbar vorbei.
Sally konnte ihre Überraschung nicht verbergen, als sie endlich die Küste und damit das Meer erblickten. Auch ohne Worte erkannten die beiden Männer, daß das Mädchen noch niemals zuvor den Anblick des Ozeans erlebt hatte. Die Straße paßte sich der Küste an und verlief parallel zu ihr.
Das Trio verbrachte die hier warmen Wintermonate auf einer schmalen Halbinsel, die weit in eine kleine Bucht hineinragte. Es war keine Halbinsel im gewöhnlichen Sinne, sondern eine Insel, die mit dem Festland nur durch eine Holzbrücke verbunden war. Anzeichen, daß sie früher einmal bewohnt gewesen war, gab es nicht; außer einem kleinen Bootshaus nahe am Ufer stand kein Gebäude auf der sandigen Insel. Sie rissen die Planken aus der Brücke, damit ihnen kein Fahrzeug zu folgen vermochte, und richteten sich häuslich in dem Bootshaus ein. Der Wagen wurde hinter dem Haus geparkt, so daß man ihn vom
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