TS 04: Das endlose Schweigen
zusammengekniffenen Augen die Ursache des plötzlichen Lichtes zu ergründen.
„Nehmt doch Deckung, ihr Narren!“ befahl Gary wütend.
Auf der andern Seite des Flusses krachte ein Karabinerschuß. Dann folgte das Hämmern eines Maschinengewehrs. Gary lauschte dem Klang nach und bestimmte automatisch den Typ und das Kaliber. Dann ertönte ein Pfiff, und das MG stellte sein Feuer ein. Ein einzelner Karabinerschuß folgte, dann war Stille. Langsam erlosch das grelle Licht, und erneut senkte sich die Nacht über den Strom.
„Was war das?“ stammelte Jonesy verstört.
„Das war dein Freund Harry“, eröffnete Gary ihm mitleidlos. „Er hat das andere Ufer erreicht.“
„Haben sie ihn – getötet?“
„Auf Fische werden sie nicht geschossen haben.“
„Und das Licht – wo kam es her?“
„Er muß über einen Draht gestolpert sein, der Magnesiumlichter auslöst. Also haben sie das ganze Ufer auf der andern Seite mit solchen Alarmdrähten versehen. Ich werde mir das merken müssen.“ Er rollte sich enger zusammen und zog das Gewehr mehr unter seinen Körper. „Ja, ja, der gute Harry hat es geschafft. Eigentlich hätte ich ihm das nicht zugetraut.“
Also hatten sie überall Drähte gespannt, bei deren leisester Berührung Magnesiumbomben losgingen. Aber doch sicher nicht das ganze Ufer entlang. Das wären mehr als dreitausend Kilometer mit allen Buchten und Seitenarmen. Soviel Draht hatte auch die Armee nicht. Vielleicht hatten sie die Fallen nur an schwachen Punkten aufgestellt, an Brücken etwa. Oder wußten sie von dem Unterwasserkabel? Auch möglich.
Warum hatten sie dann das Kabel nicht einfach zerschnitten?
Die Antwort war einfach: weil man es noch benötigte! Vielleicht waren es nicht nur Haltekabel für die Bojen, sondern gleichzeitig auch Nachrichtenkabel. Und unter dem Pentagon saßen sicher noch einige Leute von der Regierung.
Das würde ein wenig seine Pläne ändern.
Die Nacht war schon ein wenig kalt, und er schlief kaum. Als er am. andern Morgen erwachte, erhob er sich, nahm sein Gewehr und den Beutel mit Munition, fand noch einige Schachteln Streichhölzer und seine eigenen Vorräte.
Die beiden Vagabunden schliefen noch. Sie lagen eng beieinander und wärmten sich. Gary betrachtete sie eine Weile, ehe er seine Pistole aus der Tasche zog und sie Jonesy in die erstarrte Hand drückte.
In der kalten Finsternis schlich er sich davon.
Der erste Frost kündigte sich an.
8. Kapitel
Der Winter kam diesmal sehr schnell und überraschend, eine knappe Woche nach den soeben geschilderten Ereignissen. Über Nacht drang ein eisiger Wind von Kanada nach Süden und überzog die Nordstaaten mit einer Kältewelle. Die Temperaturen sanken bis zu 30 Grad und überzogen die Seen und langsamer strömenden Flüsse mit einer dünnen Eisschicht. Gegen Morgen begann Schnee zu fallen, und dabei blieb es den ganzen Tag. Die letzten überraschten Blätter lösten sich von den Bäumen und sanken in den Schnee. Die Welt wurde noch stiller und verlassener, als sie diesseits des Mississippi ohnehin schon war. Kein Mensch und kein Tier rührte sich in der weißen Wüste, die reglos in der schneidenden Kälte lag. Es gab viele an diesem Morgen, die nicht mehr erwachten, denn der plötzliche Schnee hatte sie während des Schlafes bedeckt.
Gary saß im Fond eines Automobils und verfluchte seine Idee, nach Norden gekommen zu sein. Warum hatte er sich nicht nach Süden gewandt, als es kalt zu werden begann. Was war er doch für ein Narr!
Er dachte an Florida, an eine Fischerhütte auf einer Insel. Dort hätte er gut einen Besuch machen können, mehr natürlich nicht. Aber dort wäre es warm, und er hätte das Kind wenigstens mal gesehen. Wessen Kind eigentlich? wunderte er sich. Er wäre dann noch weiter nach Süden gegangen und hätte eine der Badehütten für sich in Beschlag genommen, irgendwo in Miami. Auch New Orleans wäre nicht schlecht gewesen, denn dort ging das Leben in gewissem Sinne weiter. Zwar war die Bevölkerung stark dezimiert worden, aber es bestand Ordnung und eine verhältnismäßig stabile Verwaltung. Die Brücke zur anderen Seite des Mississippi wurde durch Panzer blockiert.
Er zitterte vor Kälte und verfluchte sich.
Der Krach eines Schusses riß ihn plötzlich aus seinen Gedanken. Er richtete sich auf und starrte durch das verschmutzte Rückfenster.
Jemand kam auf den Wagen zugelaufen, ein wenig unsicher und in Todesangst, wie ihm schien. Ab und zu warf der Flüchtling hastige
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