TS 04: Das endlose Schweigen
zwei gute Freunde, die haben es auch versucht.“ Er machte eine Pause, ehe er fragte: „Kannst du eigentlich gut schießen?“
„Ja“, gab Gary offen zu. „Scharfschütze. Warum?“
„Ich wollte dir einen Job anbieten, denn wir wollen nicht vergessen, was wir dir schuldig sind.“
Gary grinste über den Tisch hinweg.
„Ihr schuldet mir nichts. Und einen Job –? Ich habe noch nie in meinem Leben auf einer Farm gearbeitet. Ich wüßte noch nicht einmal, wie eine Kuh gemolken wird.“
„Das erwartet auch keiner von dir. Zwar werden wir im kommenden Sommer schwer zu arbeiten haben ohne Lee, aber wir schaffen es schon. Nein, ich wollte dir eine rein militärische Aufgabe anvertrauen.“
„Militärisch?“ staunte Gary und hörte auf zu essen.
„Hättest du keine Lust, unser Wächter zu sein? Fast täglich verirren sich Diebe und Plünderer hier in die Gegend, und sie sind nie mit dem zufrieden, was man ihnen gibt. Nachts kommen sie dann wieder und stehlen. Ich kann nicht gleichzeitig arbeiten und auf Diebe aufpassen. Das wäre dein Job: halt uns die Räuber vom Hals!“
„Well, was soll ich dazu sagen? Eigentlich wollte ich zum Süden …“
„Wir können dir natürlich keinen Lohn anbieten, denn erstens haben wir kein Geld, und zweitens könntest du nichts damit anfangen. Wir können dir aber ein gutes Heim bieten, genug Essen und Trinken. Wenn du damit zufrieden wärest –?“
Gary sah zu Mrs. Hoffmann hinüber und zögerte.
„Bitte!“ flüsterte Sandy schüchtern.
Das Mädchen saß unter dem Tisch und blickte Gary flehend an. Er lachte. „Möchtest du, daß ich hierbleibe?“ fragte er sie. Sie nickte.
„O ja!“
„Well, dann muß ich wohl. Aber nur bis zum Frühjahr!“
„Einverstanden!“ sagte Hoffmann und schlug ihm auf die Schulter, dabei seiner Frau zulachend. „Und nun iß weiter, du mußt zunehmen.“
„Kannst du mir einen Rasierapparat borgen, und vielleicht habt ihr auch eine Schere. Ich bin schon sehr lange nicht mehr bei einem Friseur gewesen.“
Ein wenig später stand er vor dem halbblinden Spiegel und betrachtete sein Gegenüber.
„Sehr gut, Corporal Gary, wirklich, sehr gut!“
* *
*
Gary stellte eine genaue Untersuchung des Geländes an und fand sehr bald die schwächste Stelle ihrer Verteidigung heraus. Hinter der Scheune fiel die Wiese ziemlich steil bis zu einem gefrorenen Fluß ab. Jemand brauchte nur aus dieser Richtung zu kommen und dafür zu sorgen, daß die Scheune stets zwischen ihm und dem Wohnhaus war, so würde man ihn unmöglich bemerken.
In der Scheune fand Gary eine Drahtrolle. Er wickelte sie auf und schlug einige Pfosten in den Schnee. Durch Ösen zog er dann den Draht, an dessen äußerem Ende – ein wenig höher – er eine Kuhglocke befestigte. Der Schnee würde bald alles wieder verdecken.
Meist schlief er am Tage, während er in der Nacht seine Runden machte. Eventuelle Diebe würden sich vorsichtig nähern, denn sie hatten Erfahrungen gesammelt und waren hungrig. Aber er war davon überzeugt, es mit ihnen aufnehmen zu können. Das ganze Gelände hatte er in regelrechte Patrouillengänge eingeteilt, die ihm bestmögliche Beobachtung sicherten. Währenddessen schlief die Familie des Farmers ruhig und tief. Sie vertrauten ihm.
Eines Abends kam Gary ins Haus und sah gerade noch, wie Sandy das Radio ausschaltete. Langsam verglomm die Skalenbeleuchtung. Mit aufgerissenen Augen starrte Gary auf das Gerät.
„Das Radio – funktioniert es denn?“
„Natürlich funktioniert es“, nickte Hoffmann, scheinbar mehr als erstaunt. „Hast du das denn nicht gewußt?“
„Aber woher bekommt ihr den Strom?“
„Wir haben einen Dynamo und ein Windrad. Lee hat das alles montiert, er war ein sehr begabter Junge. Wie er das gemacht hat, weiß ichnicht. Aber seitdem haben wir Radio.“
„Ein Radio!“ Gary schien von dem Gedanken ganz fasziniert. „Da bin ich in einem Haus, in dem ein Radio existiert, und ich weiß es nicht!“ Er ging zu dem Apparat und berührte die Knöpfe. „Ich möchte es gern einmal ausprobieren.“
„Gern. Aber bitte, sei leise! Meine Frau hat einen leichten Schlaf.“
„Ich bin ganz leise“, versicherte Gary.
„Gute Nacht!“ wünschte Hoffmann und verschwand, Sandy mit sich ziehend.
Er nahm auch die einzige Petroleumlampe mit, und Gary blieb im Dunkeln zurück. Aber das machte ihm nichts aus, denn wenn er abends noch im Haus saß, dann nur im Dunkeln. Er schob die Vorhänge ein wenig zur
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