TS 62: Das Rätsel der Venus
Safe auf die Knie. Er legte beide Hände auf die mattschimmernde Tür und wandte sich zu Lundy um. Er hatte jetzt Tränen in den Augen.
„Machen Sie auf. Sie müssen aufmachen. Sie möchte heraus. Sie friert, und sie hat Angst.“
Jackie Smith hob die Pistole – nur ein oder zwei Zentimeter.
„Mach auf, Kleiner“, flüsterte er. „Sie friert dort drinnen.“
Lundy stand wie erstarrt. Der kalte Schweiß rann ihm über den Rücken, und dann sagte er plötzlich ganz unmotiviert:
„Nein. Ihr ist zu heiß. Sie bekommt dort drinnen keine Luft.“
Und dann ruckte plötzlich sein Kopf hoch, und er schrie. Er fuhr herum und sah Smith an.
Smiths vierschrötiges Gesicht verzog sich, als wollte er jeden Augenblick zu weinen anfangen. „Kleiner. Ich will nicht auf dich schießen. Aber schließ’ den Safe auf.“
„Du Narr“, sagte Lundy ausdruckslos und ging weiter.
Smith drückte den Abzug.
Die betäubenden Nadeln trafen Lundy an der Brust. Es tat nicht besonders weh. Er ging weiter. Er dachte sich nichts dabei, sondern ging einfach weiter.
Hinter ihm wimmerte Farrell wie ein Hündchen und fiel dann zu Boden. Lundy ging auf Händen und Knien und griff in einer unbestimmten Bewegung nach dem Steuer. Jackie Smith beobachtete ihn aus glasigen grünen Augen.
Und in diesem Augenblick schmorte Eisen-Mike durch.
Das Armaturenbrett war plötzlich in eine blaue Flamme eingehüllt. Lundy zuckte instinktiv vor der Hitzewelle zurück. Es zischte und rauchte und roch nach durchgebranntem Isolierstoff, und der kleine Raumer begann wie ein Blatt im Winde zu taumeln. Die automatische Sicherung schaltete die Treibstoffzufuhr ab, und die Raketen verstummten.
Das Schiff begann zu fallen.
Smith sagte etwas, das wie ,SIE’ klang und klappte in seinem Stuhl zusammen. Lundy rieb sich mit der Hand über die Augen. Er sah kaum noch etwas.
Dann begann er, über den schwankenden Boden auf den Safe zuzukriechen.
Die Wolken draußen rissen auf, und plötzlich war nur noch Wasser unter ihnen. Schwarzes, unbewegliches Wasser, gesprenkelt mit kleinen Inseln schwimmenden Schilfs.
Schwarzes Wasser, das ihnen entgegenraste.
Lundy war das egal. Er kroch durch eine Blutpfütze, die Farrell hinterlassen hatte, und auch das war ihm egal. Er schob Farrells reglosen Körper gegen die Kabinenwand und begann an der mattschimmernden Tür zu kratzen und dabei wie ein Hund zu wimmern.
Das Schiff traf klatschend auf die Wasserfläche. Gischt schäumte auf, Wellen wogten – und dann war die Wasserfläche wieder glatt und unbewegt.
Dunkelgrüne Schilfinseln schlangen sich ineinander, eine Herde kleiner Seedrachen flatterte aus den Wolken herunter und begann zu fischen, aber keiner von ihnen kümmerte sich um das Schiff, das unter ihnen dem Meeresboden zusank.
Nicht einmal Lundy kümmerte sich darum. Er lag bewußtlos in der raumdichten Kabine, eingeklemmt zwischen Safe und Wand, und auf seinen Wangen trockneten Schweiß und Tränen.
2.
Das erste, was Lundy bemerkte, war die völlige Ruhe. Ein Gefühl, als wäre alles Leben erloschen.
Und dann spürte er die Schmerzen, die er hatte. Es war heiß in der Kabine, und die Luft schmeckte stickig und verbraucht. Lundy richtete sich mühsam zum Sitzen auf und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Das war Schwerarbeit, denn ihm war geradezu, als hätte ihm jemand mit einer Axt den Schädel entzweigeschlagen.
Eigentlich dunkel war es in der Kabine nicht. Ein silbernes Licht, beinahe wie Mondschein, drang durch die Luken herein. Lundy konnte ganz gut sehen. Er konnte Farrells leblosen Körper auf dem Boden liegen sehen, umgeben von einer Menge Gerümpel, das einmal Instrumente gewesen sein mochten.
Auch den Safe konnte er sehen.
Er betrachtete ihn lange. Viel zu sehen gab es nicht. Einfach ein leerer Safe – und ein Stück schwarzes Tuch auf dem Boden.
„O mein Gott“, flüsterte Lundy. „O mein Gott.“
Und dann brach das ganze Wissen über ihn herein. Beinahe hätte er sich übergeben müssen. Als der Anfall vorüber war. hörte Lundy das Klopfen.
Es war nicht sehr laut. Es klopfte in einem gleichmäßigen Rhythmus, als hätte der Klopfer viel Zeit, als wäre ihm völlig gleichgültig, wann man ihn einließ. Es kam von der Luftschleuse.
Lundy stand auf. Er schob die Lippen zurück und entblößte die Zähne wie ein gereiztes Raubtier.
Das Klopfen hörte nicht auf. Ein einschläferndes Geräusch. Der da draußen hatte Zeit. Irgendwann würde diese verschlossene Tür schon
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