TS 65: Die Zeit-Agenten
Narr war. Aber kein römischer Herrscher der Geschichte hatte sich jemals von einer Frau völlig beherrschen lassen. Selbst Marcus Antonius, dem man nachsagte, daß er das Imperium um der Liebe zu Kleopatra willen weggeworfen hatte, hatte Frauen nur als Spielzeug betrachtet, Gefährtinnen und Mütter seiner Kinder, nicht als Gegenstand ewiger Liebe. Aus der nahen Perspektive, die Elspeth in Antik genoß, hatte sie außerdem eine Version des Antonius-Kleopatra-Mythos entdeckt, die von der Darstellung in den Schulbüchern völlig abwich.
Der wirkliche Grund, weshalb zuerst Cäsar und dann sein ehemaliger. Heerführer die ägyptische Königin geheiratet hatte, war politisch-wirtschaftlicher und nicht romantischer Natur. Die Akteure der sogenannten großen Romanze, so hatte Elspeth erfahren, waren nur Schachfiguren in einem machtpolitischen Spiel gewesen, in dem die ägyptische Königin und ihre Erben nur Faktoren gewesen waren. Nur die Tatsache, daß das große Spiel beinahe geglückt wäre, hatte zu dieser Legende geführt. Politiker, nicht Dichter, hatten geschickt die Legende geschaffen, um Antonius in Mißkredit zu bringen, anstatt ihn in den Augen seiner Gefolgsleute und Anhänger zum Idol werden zu lassen.
Für den durchschnittlichen Römer aus guter Familie mußte die Vorstellung, die Liebe zu einer Frau den Pflichten gegenüber Vaterland oder Karriere vorzuziehen, ebenso empörend wie degenerierend erscheinen. Selbst später in den Jahren des Zerfalls des Reiches, als raffinierte Frauen ihre Bewunderer in den Bankrott getrieben hatten, hatte nie eine Frau versucht, das Staatsschiff zu lenken. Die Idee war in dieser zurückgebliebenen Welt einfach nicht denkbar.
Folglich bezweifelte Elspeth auch, daß Titus so schwachköpfig sein sollte, daß er zwischen den beiden rivalisierenden Prinzessinnen Freundschaft erstrebte. Wenn man seine ausdruckslosen Züge betrachtete, konnte man fast meinen, daß er im Augenblick beide Frauen einer grausamen Prüfung unterzog.
Er spielte sie ganz bewußt gegeneinander aus, mit sich selbst als Preis, vielleicht mit dem Ziel, daß eine von ihnen die andere vernichtete, ehe er selbst zwischen ihnen hin und her gerissen wurde. Wenn Elspeth die Aussichten bedachte, die gegen ihre Freundin Berenice sprachen, dann empfand sie Ärger über den künftigen Kaiser. Gleichzeitig mußte sie ihn aber bewundern. Dies war wirklich ein eines Kaisers würdiges Manöver, selbst wenn es hier um eine Angelegenheit seines Privatlebens ging.
Berenice tat so, als sähe sie die Amazone überhaupt nicht, und meinte, zu Titus gewandt: „Die Berichte über den Zustand deines Vaters, Hoheit, sind nicht gerade ermutigend. Ich hoffe, daß er bald gesund wird.“
Titus zuckte die Achseln und erwiderte: „Mein Vater ist alt und seine Feldzüge und die Sorge um den Staat haben ihm viele Strapazen auferlegt. Ich fürchte, ich kann nicht mehr auf seine Genesung hoffen. Es ist deshalb wichtiger, daß alle, die mir nahestehen, füreinander Freundschaft empfinden und sich gegenseitig unterstützen.“
„Wir hören, Hoheit“, sagte Berenice. Elspeth folgte ihrem Blick, der auf Ana Martina und Domitianus gerichtet war, der etwas hinter Titus stand. Sie sah den abschätzenden Blick, den die gallische Juno dem jüngeren Bruder zuwarf und den dieser ebenso erwiderte.
Schließlich bewegte sich das kaiserliche Gefolge weiter und begann zu baden. Damit wurden einige der dahinterstehenden Höflinge sichtbar – und Elspeth spürte plötzlich, wie sie rot wurde. Ihr Blick war direkt auf Mack Fraser gerichtet.
7.
Einen Augenblick dachte Elspeth, sie müßte sofort ins Wasser springen. Unter Fremden unbekleidet herumzulaufen, war eine Sache. Eine ganz andere Sache war es, Mack im Evaskostüm gegenüberzutreten.
Auch ihm schien die Szene peinlich zu sein, aber nach einer Weile mußten beide lachen. Als Elspeth sah, daß niemand sich um sie kümmerte, streckte sie ihm die Zunge heraus.
Prinzessin Berenice rief ihre Sklaven herbei und ließ sich in ihr Gewand hüllen. Dann sagte sie zu Elspeth gewandt: „Wir danken dir für deine Unterstützung, Marina.“ Und dann unzeremoniell: „Komm und besuch mich morgen.“ Sie drückte ihr schnell die Hand und eilte zu einem der Seitenausgänge.
Mack drückte sich immer noch zwischen dem kaiserlichen Gefolge herum und brachte es schließlich fertig, in Elspeths Nähe zu gelangen. Mit der Schüchternheit eines Teenagers, der ein Mauerblümchen zum Tanz auffordern muß,
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