TS 66: Sternenfieber
an einem dieser Abende träumerisch und zeigte hinab auf die Felseninsel in der Großen Syrte, „Damals, als hier noch ein Meer war, muß es eine paradiesische, kleine Insel gewesen sein. Nun gehört sie uns allein.“
„Sie ist vegetationslos“, antwortete Nelsen schnell. „Wir könnten ohne Gefahr auf ihr landen.“
Mehr als ein dutzendmal besuchten sie ihre kleine Insel, und damit begingen sie den verhängnisvollsten Fehler ihres Lebens. Jede Form intelligenten Lebens war in der Lage, aus Erfahrungen zu lernen.
Und die mörderischen Pflanzen waren intelligent!
Sie standen am Rand der Insel und sahen hinaus in die Wüste. Ihre Wangen glühten noch von den Küssen, die sie im Helikopter getauscht hatten.
„Du bist wunderbar“, flüsterte er zärtlich und zog sie näher zu sich.
Die kleine Sonne war inzwischen unter den Horizont gesunken. Keine dreißig Meter von ihnen entfernt wartete der startbereite Helikopter.
In diesem Augenblick geschah es.
In der Dämmerung waren zwei kurze, harte Geräusche. Gleichzeitig spüren Nelsen und Nancy einen Stich. Wenn Menschen in der Lage waren, Geschosse abzufeuern, warum sollten die Pflanzen es nicht auch können? Sie kannten schon lange komprimiertes Gas, und es war nicht besonders schwierig, damit selbstgewachsene Projektile zu verschleudern, die so hart waren, daß sie selbst Gummi oder Stellene durchdrangen.
Nancy schrie auf. Nelsen wußte später nicht, ob er auch geschrien hatte, als der Schmerz wie Feuer durch seine Adern rann. Er griff nach dem Mädchen und versuchte, den Helikopter zu erreichen. Dann war nur ein Handgriff nötig, um das Flugzeug auf den richtigen Kurs zu setzen.
Aber es war vom ersten Augenblick an schon zu spät.
Der Blutkreislauf brachte das Virus ins Gehirn, wo es sofort zu wirken begann. Zwischen Inselrand und Helikopter brachen er und Nancy zusammen. Sie wurden nicht etwa bewußtlos, sondern konnten auch weiterhin denken. Die Pflanzen kannten noch kein tödlich wirkendes Gift, aber das, was sie kannten, genügte vollauf, um jede geistige Tätigkeit der Menschen zu lähmen.
Nelsen sah Jarviston und erkannte alte Freunde, aber immer wieder wichen sie zurück, wenn er sich ihnen zu nähern versuchte. Dann wieder schien es, als schwimme er in einem Ozean übelriechender Flüssigkeit, die ihn zu verschlingen drohte. Er riß die Augen auf und erkannte den nächtlichen Sternenhimmel über der Wüste. Phobos war noch nicht aufgegangen, also blieb es dunkel. Das Licht von Deimos reichte nicht aus, um merkliche Schatten zu werfen.
Irgend etwas berührte ihn von hinten. Er schrak zurück und zog dabei die Machete aus dem Gürtel. O nein, so schnell sollten sie ihn nicht haben! Blind hieb er mit dem breiten, scharfen Messer in die Finsternis.
Die Pflanzen waren nicht sehr schnell, das war der Vorteil des Menschen, der sich behender fortbewegen konnte. Aber es war zu dunkel, um Einzelheiten zu erkennen. Nancy lag zu seinen Füßen, als er sich halb aufrichtete.
Die Taschenlampe fiel ihm ein. Wo hatte er sie denn nur …?
Plötzlich war eine Stimme in seinen Kopfhörern.
„Wir hören Sie. Nelsen. Halten Sie aus, wir sind in vierzig Minuten bei Ihnen!“
Es war Huth. Pah, vierzig Minuten …!
„Wir sollten keine Angst haben“, hörte er dann Nancys Stimme. Sie klang nicht sehr überzeugt, wenn auch tapfer.
Kleine liebe Nancy …
Ein Schatten tauchte über ihnen auf, noch dunkler als die Nacht. Das Ding war allein in seinen undeutlichen Umrissen und schauerlich und furchtbar. Es stürzte sich auf die beiden Menschen.
Nelsen spürte einen plötzlichen Schmerz, dann wußte er nichts mehr.
Aber es war nicht das Ende. Der Schmerz bewirkte nur, daß sein Gehirn zu zerspringen schien und jedes Gefühl für Zeit verlor.
Ein Monat verging, vielleicht auch ein Jahrhundert …
*
Er kam nicht von einer Sekunde zur anderen wieder zu sich, wenn es auch den Anschein haben mochte. Er saß im Sonnenschein auf einem ganz gewöhnlichen Klappstuhl aus Leichtmetall, der mit buntem Stoff bespannt war. Über ihm war das durchsichtige Dach einer Stellene-Kuppel. In den Steinmauern sah Nelsen deutlich einige Vertiefungen, die von herausgelösten Fossilien herrühren mochten. Es war ziemlich sicher, daß er in einer nach oben offenen Felsenkammer hockte, die von den alten Marsianern angelegt worden war.
Neben ihm saß Nancy, noch etwas bleich und abgespannt im Gesicht, aber lebendig. Hinter ihr erkannte er eine geöffnete Tür, die in eine
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