TS 66: Sternenfieber
sich richtig verhalten und kein Verbot übertreten. Aber da ist noch etwas, das ich jedem Besucher zeigen muß. Sie haben die Anweisung, es sich ganz genau anzusehen. Hier, kommen Sie.“ Sie näherten sich der durch Stellene überdachten Station. „In diesem Kasten …“
Huths Stimme hatte sich verändert. Sie klang nicht mehr so freundlich und unbeschwert wie am Anfang.
Die Kiste war aus Metall, etwa einen Meter hoch und zwei Meter im Quadrat. Wie ein Denkmal-Sockel lag sie genau vor dem Eingang zur großen Luftschleuse, und niemand konnte die Siedlung betreten, ohne die Kiste zu sehen. Der Deckel war aus Glas.
Nelsen beugte sich darüber und sah hinein.
Er hatte schon viele Schrecken geschaut – einmal einen rosa Nebel draußen zwischen den Asteroiden, als ein Mann im Archer von einem Sprenggeschoß getroffen und zerplatzt war. Auch kannte er einige Filme, die von den Pflanzen des Mars handelten, hatte Gimp Hines Reden gelauscht und dabei an alte Märchen gedacht, in denen die Bäume und Büsche lebten. Er war also nicht sehr erschrocken, als er in die Kiste schaute.
Die Pflanze schien tot zu sein, aber Nelsen wußte, daß sie zu jeder Zeit wieder zum Leben erweckt werden konnte. Die Blätter und Stengel waren vertrocknet und erinnerten an dürres Holz. Überall waren kleine Flecke – wie halb geschlossene Augen. An Muskelstränge erinnerten die winzigen Organe, mit denen die Pflanze Geräusche von sich geben konnte – auch das wußte Nelsen bereits. Das Gewächs produzierte Sauerstoff, wie jede Pflanze der Erde auch, aber sie ließ das Gas nicht frei. Hier lag der ganze Unterschied. Sie speicherte den Sauerstoff auf, da sie ihn während der Kälteperiode dazu benötigte, eine zusätzliche Haut zu ernähren, mit der sie sich vor Erfrierungen schützte.
Tiefer im Innern der merkwürdigen Pflanze gab es Verdickungen, die unter dem Mikroskop wie Nervenbündel wirkten. Rein chemisch gesehen bestand hier ein weiterer Unterschied. Die Verdickungen zeigten keine Spur von Protein.
Aber die Pflanze war nicht allein in der Kiste. Mit ihren schlanken Tentakeln hielt sie einen Mann fest, der noch in seinem Archer steckte. Er mußte erstickt sein, als er sich ahnungslos in die Nähe der gefährlichen Gewächse begeben hatte.
„Es ist nicht gesagt, daß es jedem unbedingt so gehen muß wie dem armen Kerl dort in dem Schaukasten“, sagte Huth. „Es gibt noch andere Gefahren. Sie müssen dafür sorgen, daß Ihr Archer stets gut desinfiziert wird, bevor Sie Ihr Zimmer betreten und ihn neben der Tür aufhängen. Als ich auf den Mars kam, gab es diese Sorgen noch nicht in diesem Maß. Erst heute … die Pflanzen müssen die Nachfolger der ausgestorbenen Marsianer sein. Man ist sich nicht ganz sicher. Aber überlegen Sie doch einmal. Nelsen: was würden Sie tun und denken wenn Sie mit Wurzeln im Boden verankert und zur Bewegungslosigkeit verurteilt wären? Wenn Sie keine Hände und Werkzeuge besäßen – und wenn Sie das Feuer fürchten müßten …?“
„Ich werde mir Gedanken darüber machen“, versprach Nelsen und wechselte das Thema. „Ich weiß noch nicht, wie lange ich hier bleiben werde, aber wenn alles so umständlich ist, werde ich wahrscheinlich in meinem Archer irgendwo im Garten schlafen. Mir macht das nichts aus.“
„Draußen im freien wird nicht geschlafen, das wäre zu unvorsichtig“, lachte Huth. „Aber es gibt auf dem Mars immerhin einen Ort, der relativ sicher ist: Die Wüste! Vergessen Sie das nicht, wenn es einmal notwendig sein sollte.“
Sie passierten mit anderen Männern die große Schleuse, in der auch der Archer desinfiziert und gereinigt wurde. Dann betrat Nelsen endlich die überdachte Stadt, in der man frei atmen konnte, ohne den Helm aufsetzen zu müssen.
Nancy Codiss kam ihm in der Empfangshalle des Hospitals entgegen. Sie ging langsam und beherrscht, wenn auch in den Augen die Freude stand. Sie reichten sich die Hände und sprachen fast eine Minute lang kein Wort.
„Die Fotos haben nicht gelogen. Nancy“, sagte er dann.
„Deine schon“, lachte sie verhalten. „Du siehst nicht ganz so grimmig und hart aus. Willst du dich nicht umziehen? Ich habe einige Stunden frei.“
„Huth hat mir meine Schlafkammer schon gezeigt. Gut, ich werde meine Sachen hineinlegen und bin gleich wieder hier.“
Eine halbe Stunde später saßen sie in der weiten Vorhalle zwischen irdischen Blumen und unterhielten sich über Jarviston und die Vergangenheit, dann kamen sie allmählich auf die
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