TS 72: Das Erbe von Hiroshima
loszuwerden. Mit keiner Geste half er ihr.
Aber je näher die Mittagszeit heranrückte, desto unruhiger wurde Ann. Endlich sagte sie:
„Lex und ich – wir wollten eigentlich schon heute fortfahren. Nach Red Creek Forest.“
Bob Britten rührte sich nicht.
„Recht hübsche Strecke“, meinte er gleichgültig. „Da habt ihr kaum Zeit, euch den Naturpark anzusehen, wenn ihr vor Mitternacht zurück sein wollt.“
„Wir wollten uns aber den Park recht gründlich anschauen. Lex schreibt einen neuen Roman – und er spielt dort.“
Sie nahm einen zweiten Anlauf.
„So? Und wie macht ihr das? Fliegen?“
„Nein, mit dem Auto, natürlich. Wir dachten, du würdest uns erlauben – weißt du, es gibt nette und nicht sehr teure Hotels dort. Dann hätten wir den ganzen Sonntag zur Verfügung. Morgen abend wären wir früh zurück.“
Bob schwieg. Er hatte die Augen geschlossen und atmete gleichmäßig weiter, als habe er ihre Worte nicht verstanden. Ann wartete geduldig. Jetzt war es heraus und nicht mehr ungeschehen zu machen. Entweder er sagte zu oder aber …
Er öffnete seine Augen und betrachtete sie forschend. In seinem Blick war ein Suchen, als erwarte er etwas ganz Bestimmtes zu finden. Schließlich sagte er leise:
„Du bist erst siebzehn Jahre alt, Ann. Es schickt sich nicht für ein so junges Mädchen, allein mit einem Mann in der Gegend herumzufahren. Und erst recht schickt es sich nicht, mit ihm irgendwo zu übernachten. Fahrt morgen früh und kommt abends zurück. Da habt ihr drei oder vier Stunden Zeit in Red Creek.“
Sie hatte kaum eine andere Antwort erwarten dürfen.
„Vielleicht irrst du dich in Lex, Dad. Er würde niemals etwas tun, was ich nicht wollte. Ich hoffe, du verstehst mich auch ohne viel Worte.“
„Ich verstehe sehr gut, meine Tochter. Nur frage ich mich, was du tun und was du nicht tun möchtest. Darauf kommt es doch wohl an, nicht wahr – wenn er so ist, wie du behauptest.“
„Er ist so!“ wich sie der indirekten Frage aus. „Ich habe mich so auf dieses Wochenende gefreut. Ich war noch nie in Red Creek, aber die Wälder und Seen sollen herrlich sein.“
„Sie sind es auch am Sonntag“, beharrte Bob auf seinem Standpunkt.
Marry Britten war unbemerkt auf die Veranda gekommen und hatte die letzten Sätze gehört.
„Red Creek?“ dehnte sie. „Ihr wollt nach Red Creek?“
„Lex und Ann wollen einen Ausflug machen – über das Wochenende“, erklärte ihr Bob ein wenig ärgerlich. „Ich kann nicht zulassen, daß unsere Tochter über Nacht wegbleibt.“
„Warum nicht?“ wunderte sich Marry.
Bob hob die Hände und ließ sie wieder sinken.
„Das fragst du noch, Marry? Ann ist viel zu jung, um mit einem fremden Mann so einfach in irgendeinem Hotel zu übernachten, womöglich noch in einem Doppelzimmer!“
„Daddy!“ warf Ann empört ein.
Ihre Mutter lächelte flüchtig und zwinkerte ihr zu. Mit ernster Stimme sagte sie dann:
„Aber Bob, dein Gedächtnis läßt erheblich nach. Haben sich die Zeiten so geändert? Hast du unsere Eltern erst um Erlaubnis gefragt, als du mich einfach mit dir nahmst? Und – haben wir unseren Entschluß jemals bereuen müssen?“
Das Heraufbeschwören alter Erinnerungen war Bob in Gegenwart seiner Tochter sichtlich unangenehm. Er begann zu schwanken in seinem Entschluß, die Debatte mit einem kategorischen „Nein!“ zu beenden – und dieses Schwanken besiegelte seine endgültige Niederlage.
Bob knurrte und schloß die Augen. „Macht, was ihr wollt.“
Marry nickte Ann zu.
„Jetzt schmollt er, weil er nicht recht behalten hat. Aber er beruhigt sich auch wieder. Wann wollt ihr fahren?“
Ann sprang aus dem Liegestuhl und fiel der Mutter um den Hals.
„Danke, Mom. Allein hätte ich es kaum geschafft. Ich danke dir. Du weißt ja nicht, welche Freude du mir gemacht hast.“
„Doch“, erwiderte Marry und warf ihrem Mann einen schnellen Blick zu, in dem Liebe und Erinnerung lag. „Ich weiß es sehr gut. Darum half ich dir ja.“
Bob öffnete die Augen.
„Und was ist mit mir?“ machte er sich bemerkbar. „Bin ich vielleicht schon so unwichtig geworden, daß man mich übersieht?“
Das wiederum fand Ann nicht, und nur mühsam konnte sich Bob der töchterlichen Zärtlichkeiten erwehren.
Er begann auf einmal, Lex Harnahan zu beneiden und wußte plötzlich, was der wahre Grund seiner anfänglichen Ablehnung gewesen war.
Und darüber ärgerte er sich derart, daß ihm später nicht einmal das Essen richtig
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