TS 72: Das Erbe von Hiroshima
wenn sie dann dort sind, sehnen sie sich zurück nach der Welt mit all ihren Sorgen und Problemen.“
„Ich sicher nicht, Lex. Niemals. Mit dir würde ich dort glücklich sein können. Für immer.“
Sinnend betrachtete sie den Ring, den Lex ihr gestern geschenkt hatte. Es war ein wunderbarer, breiter Goldreif, in den drei winzige Perlen eingelassen waren.
„Ist der Ring nicht zu groß?“ fragte er.
„Ein wenig.“
„Verliere ihn nur nicht.“
Sie schüttelte den Kopf.
„So groß ist er nun wieder nicht. Du hast mir mit dem Ring eine unvorstellbare Freude bereitet, Lex.“
Sie hatte den Ring vom Finger genommen und drehte ihn in der Hand. Er beobachtete sie aufmerksam. Wie schön sie war, wie jung und wie liebreizend. Selbst in seinen kühnsten Träumen hatte er nicht gewagt, sich ein solches Mädchen als das seine vorzustellen.
„Der Ring also macht dich glücklich?“ vergewisserte er sich. Und als sie nickte, sagte er: „Und weil er dich glücklich macht, bin ich es ebenfalls.“
Er zog sie an sich und küßte sie.
Ihr spitzer Schreckensschrei ließ ihn zurückfahren.
Ann saß auf dem flachen Stein, die Augen entsetzt aufgerissen. Ihr Blick bohrte sich in das grüne Wasser des Sees, als wolle er den Grund erreichen, der so unendlich tief unter der trügerischen Oberfläche lag.
Lex folgte ihrem Blick und sah, wie ein blitzender, goldener Gegenstand langsam in die Tiefe sank.
Seine Augen suchten Anns Hände.
Sie waren beide zu Fäusten verkrampft, aber jetzt öffneten sie sich.
„Der Ring!?“ fragte er bestürzt. „Du hast den Ring ins Wasser fallen lassen? Wie konnte das geschehen?“
Sie waren leer.
„Ich vergaß ihn – für eine Sekunde. Als du mich küßtest.“
Sofort befiel ihn Schuldbewußtsein.
„Du kannst nichts dafür, Liebes. Ich werde dir einen neuen besorgen – noch in der nächsten Woche.“
„Diesen Ring, Lex, gibt es nicht noch einmal.“
„Aber – das ist doch Unsinn! Natürlich ist es nicht der gleiche Ring, aber er sieht genauso aus.“
„Ich will aber diesen Ring wiederhaben, Lex. Er bedeutet mir alles. Er ist das Wahrzeichen unserer Liebe.“
Er zuckte die Schultern.
„Der See ist tief, vielleicht sogar dreißig oder vierzig Meter an dieser Stelle. Niemand wird den Ring heraufholen können.“
„Aber ich will den Ring zurück!“
Sie sagte es mit eigensinniger Stimme. Lex ahnte die Bedeutung eines ersten Geschenkes mehr, als er von ihr wissen konnte. Seine Gefühle schwankten zwischen stolzem Glücklichsein über Anns Besitzerfreude und ärgerlicher Verwunderung über ihren Starrsinn. Mein Gott, der Ring ließ sich ersetzen!
Was wußte er davon, was Ann dieser erste Ring bedeutete?
„Ich kann dir nicht helfen“, sagte er brüsk. Innerlich teilte er ihren Schmerz, aber er war zu stolz, das zuzugeben. „Wir hätten vorsichtiger sein sollen.“
Sie gab ihm keine Antwort.
Immer noch starrte sie auf die Stelle, an der ihr Ring verschwunden war. Ihre Augen saugten sich an der kaum bewegten Oberfläche fest, und ihr ganzer Schmerz eilte dem in der Tiefe versunkenen Schatz nach. Wie ein unsichtbarer und endlos langer Arm griff ihr Unterbewußtsein in das schwarze Nichts hinab.
Sie sah den Ring – und sie sah ihn doch nicht.
Ihr Blick durchdrang die trennende Mauer des Wassers und die darin herrschende Dunkelheit. Nichts mehr hatte in ihren Gedanken Platz als der Ring.
Sie sah den Ring nun wirklich!
Und er bewegte sich. Langsam begann er zu schwanken und zu steigen. Immer höher kam er und löste sich aus dem Dunkel der Tiefe, kletterte – kleine Kreise ziehend – zur Oberfläche empor. Das Wasser wurde heller, der goldene Schein des Rings strahlender und heller.
Lex wunderte sich, daß er keine Antwort erhielt. Eine Weile starrte er geistesabwesend auf die nahen Felsen, dann wandte er sich Ann zu, um weitere Worte des Trostes zu finden. Aber als er ihre unbeweglichen Augen auf einen bestimmten Punkt gerichtet sah, folgte er ihrem Blick.
Nur zu natürlich schien es ihm, daß Ann auf die Stelle schaute, an der ihr Ring verschwunden war. Er hätte es nicht anders gemacht, auch wenn er wußte, ihn nicht zurückholen zu können.
Und dann sah er etwas Unglaubliches.
Genau unter ihm schimmerte etwas durch das Wasser, verdrängte das dunkle Grün mit einem goldenen Schimmer, wurde heller und deutlicher und kam näher.
Lieber Gott! Das war doch nicht möglich!
Rex verharrte für Sekunden und fühlte, wie seine Haare sich sträubten. Er war
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