TS 72: Das Erbe von Hiroshima
vernünftig und entsprach ihren eigenen Vorstellungen, aber die geplante Demonstration zerstörte diesen Eindruck wieder.
Sie sah ihn an.
„Hören Sie, Mister Miller, ich muß mir Ihr Angebot überlegen. Sie werden verstehen, daß ich nicht so einfach alles aufgeben kann, was ich mir in vier Jahren aufbaute. Ihre Ziele in Ehren, aber ich benötige Gewißheit, wer Sie sind. Vielleicht nehme ich dann einen Urlaub und helfe Ihnen. Mein Vater hat mir sehr anschaulich die Gefahren weiterer Experimente geschildert. Eine neue Generation mit stärker entwickeltem Gehirn kann die Menschheit, wie wir sie kennen, auslöschen. Ich übe Verrat an einer zukünftigen Rasse, und ich tue es nur deshalb, weil die Zeit für sie noch nicht reif ist. Einmal jedoch wird die Erde von Supermenschen beherrscht werden, und sie werden mich als einen Abtrünnigen bezeichnen.“
Miller winkte ab.
„Unsinn! Sie sind eine einmalige Ausnahme, mehr nicht. Wenn wir gegen die Atombombe sind, dann nur deswegen, weil sie selbst es ist, die unser Leben bedroht. Gelegentliche Mutationen sind unbedeutend.“
„Ich sehe, wir denken verschieden und sehen beide eine andere Gefahr. Trotzdem haben wir das gleiche Ziel. Vielleicht kann eine Zusammenarbeit also doch noch Zustandekommen. Ich stelle jedoch meine Bedingungen: ich will genau wissen, wer hinter Ihrer Organisation steht. Ohne eine definitive Antwort weigere ich mich, auch nur den kleinen Finger zu rühren …“
Miller zuckte die Achseln.
„Ich fürchte, wir haben schon zuviel Zeit verloren. Leider kann ich Ihrem Wunsch nach mehr Sicherheit nicht entsprechen. Ich habe lediglich meinen Auftrag und führe ihn aus. Alles andere können Sie dem Chef selbst sagen. Sie kommen mit mir.“
Erneut fühlte sie den inneren Widerstand und das Mißtrauen. Miller log, das wußte sie nun. Man kannte sie genau, um Ziele vorgeben zu können, die ihrer Anschauung entsprachen. In Wirklichkeit jedoch, das ahnte sie nun mit Sicherheit, steckte etwas anderes dahinter.
„Ich werde nicht mit Ihnen kommen, Mister. Notfalls kann ich meine Absichten auch ohne Sie durchsetzen. Lassen Sie mich in Ruhe; damit dienen Sie Ihrer eigenen Sache am besten.“
Sie sah, daß Miller mit sich kämpfte. Wahrscheinlich wußte er nicht, ob er die Maske bereits fallenlassen sollte, oder ob es noch zu früh dazu war. Schließlich stand er auf und nahm die rechte Hand endlich aus der Tasche. Der Lauf des kleinen Revolvers richtete sich auf Ann.
„Leider habe ich keine Verhandlungsvollmachten, Miß Britten. Ich muß Sie bitten, mich zu begleiten. Mein Wagen wartet unten vor der Tür. Wir kehren später zurück und holen alle Gegenstände, die Sie mitzunehmen wünschen.“
In diesem Augenblick wußte Ann, daß sie allein war. Der schwache Hoffnungsschimmer, ihre Aufgabe mit Hilfe Gleichgesinnter durchführen zu können, schwand von einer Sekunde zur anderen. Miller war ein Gangster, das wurde ihr klar. Vielleicht gehörte er einer Gruppe an, die ihre privaten Ziele verfolgte und sogar die Weltherrschaft anstrebte.
Sie sah in den Lauf der Pistole und versuchte, sich zu konzentrieren. Wenn es ihr gelang …
„Kommen Sie jetzt. Ich verstehe genügend von diesen Dingen, um zu wissen, daß ich Sie ablenken kann. Eine Kugel können Sie nicht aufhalten, während ich mit Ihnen spreche … oder? Beeilen Sie sich, sonst wird mein Mann unten ungeduldig.“
Er hatte recht. Sie fühlte, wie hilflos sie war. Vielleicht, wenn sie alle anderen Gedanken abschirmen konnte …
„Stehen Sie auf und gehen Sie voran. Ich werde Sie töten, wenn Sie nicht das tun, was ich Ihnen befehle. Mit einigen Sätzen bin ich im Auto, glauben Sie mir …“
Wenn er doch nicht immer spräche!
„Ja, schön brav so – und nicht umdrehen. Gehen Sie nur, ich komme nach. Die Pistole habe ich nun wieder in der Tasche. Wir sind zwei alte Bekannte, die noch ein wenig bummeln gehen, einverstanden? Und keine Dummheiten, wenn ich bitten darf. Sie müssen doch einsehen, daß es eine Schande ist, wenn Ihre wunderbaren Fähigkeiten so brachliegen und verkümmern …“
Sie hätte ihm sagen können, daß gerade das nicht stimme und sie ja alles tue, sie zu vervollkommnen, aber sie blieb stumm. Sie mußte auf ihre Gelegenheit warten und sie nutzen, bevor es zu spät dazu war.
Mit einemmal spürte sie die Ruhe, die über sie kam. Langsam stieg sie die Treppen hinab, von dem Fremden dicht gefolgt. Niemand begegnete ihnen, das Haus war wie ausgestorben. Sonst gelang es ihr
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