TS 76: Eine Handvoll Dunkelheit
Janet beugte sich vor. „Solange er in der Entwicklung ist, muß er bei ihnen sein, nicht bei uns. Später, wenn er mit achtzehn nicht länger so verformbar ist, dann können wir die ganze Zeit bei ihm sein.“
„Später! Später!“ Ed sprang auf und schob seinen Stuhl zurück. „Ich gehe jetzt sofort hinunter und hole ihn.“
„Setz dich, Ed.“ Janet blickte ruhig auf. „Setz dich und benimm dich zur Abwechslung einmal wie ein erwachsener Mensch.“
„Ja, stört denn dich das nicht? Macht dir das denn nichts aus?“
„Natürlich macht es mir etwas aus“, meinte Janet und zuckte die Achseln. „Aber es ist nötig. Sonst entwickelt er sich nicht richtig. Es ist zu seinem Besten, nicht unserem. Er existiert nicht für uns. Willst du, daß sich in ihm Konflikte bilden?“
Ed trat von dem Tisch zurück. „Wir sehen uns später wieder.“
„Wohin gehst du?“
„Hinaus. Das Lokal hier geht mir auf die Nerven. Bis dann.“ Ed ging zur Tür. Sie öffnete sich, und dann stand er draußen auf der Straße. Glühende Sonnenhitze stach auf ihn herab. Er blinzelte, paßte sich dem blendenden Licht an. Rings um ihn strömten Leute auf und ab. Leute und Lärm. Er bewegte sich mit dem Strom.
Er war wie benommen. Er hatte es natürlich gewußt, in seinem Unterbewußtsein. Die neue Entwicklung in der Kinderpflege. Aber es war ein abstraktes Wissen gewesen, nichts, das mit ihm zu tun hatte, mit seinem Kind.
Beim Gehen beruhigte er sich. Er regte sich über Lappalien auf. Janet hatte recht. Es war zu Peters Nutzen. Peter war ein Mensch, der sein eigenes Leben zu leben hatte, kein Spielzeug. Ihm würde die Ausbildung guttun. Sie diente dazu, ihn zu entwickeln, seine Fähigkeiten, seine Kräfte. Er mußte geformt werden.
Natürlich konnten Robots das am besten tun. Robots konnten ihn wissenschaftlich ausbilden, nach einer bewährten Technik. Nicht nach gefühlsbedingten Vorstellungen. Robots wurden nicht ärgerlich. Robots klagten und nörgelten nicht. Sie schlugen ein Kind auch nicht oder schrien es an. Und sie gaben keine Befehle, die einander widersprachen. Und dann stritten sie auch nicht untereinander und benützten das Kind nicht, um ihre eigenen Ziele zu erreichen. Und dann konnte sich natürlich auch kein Ödipuskomplex entwickeln, solange das Kind nur von Robots umgeben war.
Überhaupt keine Komplexe. Schon vor langer Zeit hatte man festgestellt, daß alle Neurosen sich auf die Zeit der Kindheit zurückführen ließen. Auf die Art und Weise, wie die Eltern das Kind erzogen hatten. Die Dinge, die man es gelehrt hatte, die Manieren, all die Lektionen, die Strafen und die Belohnungen – sie alle wirkten zusammen. Neurosen, Komplexe, sie alle rührten von der subjektiven Beziehung zwischen dem Kind und seinen Eltern her. Wenn man daher die Eltern als Faktor ausschalten konnte …
Eltern sahen ihre Kinder nie objektiv.
Aber Roboter konnten das Kind studieren, seine Bedürfnisse analysieren, seine Fähigkeiten und Interessen testen. Robots würden auch nie versuchen, das Kind in eine bestimmte Form zu pressen. Es würde so ausgebildet werden, wie es seinen Anlagen entsprach.
Ed kam an die Ecke. Der Verkehr zischte an ihm vorbei. Er tat geistesabwesend einen Schritt nach vorn. Ein klirrendes Geräusch. Stangen senkten sich vor ihm auf die Straße und hielten ihn auf. Eine Robotsicherung.
„Sir, Sie müssen vorsichtiger sein!“ sagte eine strenge Stimme ganz in der Nähe.
„Tut mir leid.“ Ed trat zurück. Die Stangen hoben sich wieder. Er wartete, bis die Ampel auf Grün schaltete. Es war zu Peters eigenem Nutzen. Robots konnten ihn richtig ausbilden. Später, wenn er die Kinderjahre hinter sich hatte, wenn er nicht mehr so leicht verformbar war –
„Es ist besser für ihn“, murmelte Ed. Er sagte es noch einmal, und ein paar Leute sahen ihn an. Er wurde rot.
Achtzehn. Sein Sohn würde erst zu ihm kommen, wenn er achtzehn war. Praktisch ein Erwachsener.
Die Ampel schaltete um. Tief in Gedanken versunken, überquerte Ed mit den anderen Fußgängern die Straße, sorgfältig darauf bedacht, innerhalb der Sicherheitsmarkierung zu bleiben. Für Peter war es am besten. Aber achtzehn Jahre waren eine lange Zeit.
„Eine verdammt lange Zeit“, murmelte Ed und runzelte die Stirn.
„Zu lange.“
*
Dr. 2g-Y Bish studierte den Mann, der vor ihm stand, sorgfältig. Seine Relais und Gedächtnisspeicher klickten und engten die Bildidentifizierung ein. Gleichzeitig huschte eine Anzahl vergleichbarer
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