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Tschick (German Edition)

Tschick (German Edition)

Titel: Tschick (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Herrndorf
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und stupste mich an der Schulter und fragte nochmal, ob ich wirklich zur Schule gehen würde, und ich dachte, hoffentlich kommen die Brombeeren bald, sonst werden wir die nie mehr los.
    Ich dachte auch, dass das Mädchen irgendwann von allein zurückgehen würde, aber sie lief wirklich drei oder vier Kilometer weit mit bis zu dieser Brombeerhecke. Mittlerweile hatte ich auch schon wieder Hunger und Tschick auch, und wir stürzten uns zu dritt in die Brombeeren.
    «Wir müssen die irgendwie loswerden», flüsterte Tschick, und ich sah ihn an, als hätte er gesagt, wir sollten uns nicht die Füße absägen.
    Und dann fing das Mädchen an zu singen. Ganz leise erst, auf Englisch, und immer unterbrochen von kleinen Pausen, wenn sie Brombeeren kaute.
    «Jetzt singt sie auch noch kacke», sagte Tschick, und ich sagte nichts, denn im Ernst sang sie nicht kacke. Sie sang «Survivor» von Beyoncé. Ihre Aussprache war absurd. Sie konnte überhaupt kein Englisch, hatte ich den Eindruck, sie machte nur die Worte nach. Aber sie sang wahnsinnig schön. Ich hielt eine Ranke mit Daumen und Zeigefinger vorsichtig von mir weg und schaute zwischen den Blättern durch auf das Mädchen, das da singend und summend und Brombeeren kauend im Gebüsch stand. Dazu dann noch der Brombeergeschmack in meinem eigenen Mund und die orangerote Dämmerung über den Baumkronen und im Hintergrund immer das Rauschen der Autobahn – mir wurde ganz seltsam zumute.
    «Wir gehen jetzt allein weiter», sagte Tschick, als wir wieder auf dem Weg standen.
    «Wieso?»
    «Wir müssen nach Hause.»
    «Da komm ich mit. Das ist auch meine Richtung», sagte das Mädchen, und Tschick sagte: «Das ist überhaupt nicht deine Richtung.»
    Er erklärte ihr ungefähr fünfhundert Mal, dass wir sie nicht dabeihaben wollten, aber sie zuckte nur die Schultern und lief uns hinterher, und schließlich baute Tschick sich vor ihr auf und sagte: «Ist dir eigentlich klar, dass du stinkst? Du stinkst wie ein Haufen Scheiße. Jetzt hau ab.»
    Beim Weitergehen hatte ich ein paarmal den Eindruck, dass sie uns immer noch folgte. Aber sie schien langsamer zu werden, und bald konnten wir sie nicht mehr entdecken. Die Dunkelheit kroch zwischen den Bäumen durch. Einmal raschelte es im Unterholz, aber das war vielleicht nur ein Tier. «Wenn die uns nachläuft, ist megakacke», sagte Tschick. Um ganz sicherzugehen, liefen wir ein bisschen schneller und hockten uns dann nach einer scharfen Biegung in ein Gebüsch und warteten. Wir warteten mindestens fünf Minuten, und als das Mädchen uns nicht nachgeschlichen kam, gingen wir zur Raststätte zurück.
    «Das mit dem Stinken hättest du nicht sagen müssen.»
    «Irgendwas musste ich ja sagen. Und Alter, hat die voll gestunken! Die wohnt garantiert auf der Müllkippe da. Asi.»
    «Aber schön gesungen hat sie», sagte ich nach einer Weile. «Und logisch wohnt die nicht auf der Müllkippe.»
    «Warum fragt die dann nach Essen?»
    «Ja, aber wir sind hier nicht in Rumänien. Hier wohnt keiner auf der Müllkippe.»
    «Hast du nicht gemerkt, wie die gestunken hat?»
    «So riechen wir jetzt wahrscheinlich auch.»
    «Die wohnt da, garantiert. Von zu Hause abgehauen. Glaub mir, ich kenn solche Leute. Die ist abgedreht. Tolle Figur, aber voll asi.»
    Links über der Autobahn sah man die ersten Sterne. Wir hatten Mühe, den Weg noch zu erkennen, und ich schlug vor, direkt an der Fahrbahn langzugehen, im Licht der Scheinwerfer, weil wir uns sonst wahrscheinlich verlaufen würden. Das war zwar ein bescheuertes Argument, weil man auch im Wald immer das Rauschen der Autobahn hören konnte. Aber, ehrlich gesagt, ich bekam ein bisschen Angst im Dunkeln. Warum, wusste ich auch nicht. Angst vor herumlaufenden Verbrechern konnte es ja schlecht sein. Die einzigen Verbrecher, die in diesem Wald rumliefen, waren garantiert wir. Aber vielleicht war es das, was mich beunruhigte. Dass mir das auf einmal klarwurde. Und ich war froh, als die Neonlichter der Tankstelle wieder vor uns durch das Laub leuchteten.

31
    Das Erste, was wir machten, war dann aber Eis und Cola kaufen. Wir versteckten den Kanister und die Schläuche hinter der Leitplanke und liefen Eis essend über den Parkplatz hinten und probierten im Vorbeigehen die Tanköffnungen der parkenden Autos durch. Keine davon ließ sich aufmachen. Ich war schon fast am Verzweifeln, als Tschick endlich einen alten Golf mit kaputtem Tankdeckel fand.
    Wir warteten noch, bis es wirklich zappenduster war und weit und

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