Tschick (German Edition)
und Tschick flüsterte: «Was für ein Wasser spiegel?»
«Frag sie, du Arsch», flüsterte ich zurück.
32
Und so lernten wir Isa kennen. Die Ellenbogen auf die vorderen Sitzlehnen gelegt, schaute sie von der Rückbank genau zu, wie Tschick den Lada anließ und Gas gab. Und natürlich hatten wir da überhaupt keine Lust drauf. Aber nach dieser Benzinsache war es schwer, sie nicht wenigstens ein Stück mitzunehmen. Sie wollte unbedingt, und nachdem sie gehört hatte, dass wir Berliner waren, sagte sie, das wäre genau ihre Richtung. Und als wir erklärten, dass wir gerade nicht nach Berlin fahren würden, sagte sie, das wäre auch genau richtig. Außerdem versuchte sie rauszukriegen, wo wir eigentlich hinwollten, aber weil sie uns nicht sagen konnte, wo sie hinwollte, sagten wir ihr auch nur, dass wir ungefähr in den Süden führen, und dann fiel ihr ein, dass sie eine Halbschwester in Prag hätte, die sie dringend besuchen müsste. Und das läge ja praktisch auf dem Weg, und es war, wie gesagt, schwer, ihr den Wunsch abzuschlagen, weil wir ohne sie ja nicht mal Benzin gehabt hätten.
Als wir auf die Autobahn rollten, hatten wir alle Fenster geöffnet. Man roch es trotzdem – wenn auch nicht so stark. Tschick hatte mittlerweile keine Probleme mehr mit der Autobahn, er fuhr wie Hitler in seinen besten Tagen, und Isa saß hinten und quasselte unaufhörlich. Sie war auf einmal ganz aufgekratzt und rüttelte beim Reden an unseren Sitzlehnen. Nicht, dass ich das normal gefunden hätte, aber im Vergleich zu dem Gefluche vorher war es immerhin ein Fortschritt. Und auch was sie da redete, war gar nicht immer uninteressant. Ich meine, sie war nicht doof auf ihre Weise, und auch Tschick biss sich nach einiger Zeit auf die Lippen und hörte ihr zu und nickte. Ja, das wäre ihm auch schon aufgefallen, dass im Spiegel rechts und links vertauscht wäre, aber nicht oben und unten.
Trotzdem war es zwischen den beiden noch nicht ganz vorbei. Als Isa einmal ihren Kopf durch die Sitze nach vorne steckte, zeigte Tschick auf ihre Haare und sagte: «Da leben Tiere drin», und Isa zog sofort den Kopf zurück und sagte: «Ich weiß», und ein, zwei Kilometer später fragte sie: «Ihr habt nicht zufällig eine Schere? Weil, ich müsste mal Haare schneiden.»
Anhand der Schilder an den Ausfahrten versuchten wir rauszufinden, wo wir überhaupt waren. Aber die Städtenamen kannte kein Mensch. Ich hatte den Verdacht, dass wir überhaupt nicht vorangekommen waren mit unseren Landstraßen und Feldwegen. Aber es war auch ziemlich egal. Mir zumindest. Die Autobahn führte auch schon längst nicht mehr nach Süden, und irgendwann bogen wir ab und fuhren wieder Landstraßen und der Sonne nach.
Isa verlangte, unsere einzige Musikkassette zu hören, und nach einem Lied verlangte sie, wir sollten sie aus dem Fenster werfen. Dann tauchte eine riesige Bergkette vor uns am Horizont auf, wir fuhren genau darauf zu. Ungeheuer hoch und mit Steinzacken obendrauf. Wir hatten keine Ahnung, was das für Berge waren. Stand auch kein Schild dran. Die Alpen sicher nicht. Aber waren wir überhaupt noch in Deutschland? Tschick schwor, in Ostdeutschland gäbe es keine Berge. Isa meinte, es gäbe schon welche, aber die wären höchstens einen Kilometer hoch. Und ich erinnerte mich, dass wir in Erdkunde zuletzt Afrika durchgenommen hatten. Davor Amerika, davor Südosteuropa, näher waren wir Deutschland nie gekommen. Und jetzt dieses Gebirge, das da nicht hingehörte. Immerhin waren wir uns einig, dass es da nicht hingehörte. Es dauerte noch ungefähr eine halbe Stunde, dann krochen wir langsam die Serpentinen rauf.
Wir hatten uns die kleinste Straße ausgesucht, und der Lada schaffte die Steigung mit Mühe im ersten Gang. Wie Handtücher auf abschüssigem Gelände lagen die Felder rechts und links. Dann kam der Wald, und als der Wald endete, standen wir über einer Schlucht mit einem glasklaren See drin. Ein winziger See. Zur Hälfte eingefasst von hellgrauen Felsen und zu einer Seite eine Beton- und Eisenkonstruktion, der Rest von einer Staustufe oder so. Und außer uns kein Mensch. Wir parkten den Lada unten am See. Von der Betonsperre aus konnte man ins Tal und über die ganzen Berge sehen. Nur ein paar hundert Meter unter uns lag ein Dorf. Der ideale Platz zum Übernachten.
Zum Baden schien der See zu kalt zu sein. Ich stand am Ufer neben Isa und atmete tief ein – und Tschick ging noch einmal zum Auto und kam mit etwas zurück, was er unauffällig
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