Tschoklet
Hausflur.
Kapitel 7
Sonntag, 27. Mai 1945
Schon mit dem ersten Hahnenschrei waren Edwards Leute wach, der Morgen dämmerte gerade und über dem östlich gelegenen Hardtwald zeigte sich der Himmel in tiefem Orange mit blaugrauen Schattierungen dazwischen. Hucky hatte das Feuer wieder geschürt und sich beim Kaffeekochen die linke Hand an der heißen Kanne verbrannt, als er sie vom Feuer nehmen wollte. Jetzt kniete er, leise vor sich hin schimpfend, am Brunnen und kühlte die große Brandblase im kalten Wasser. Roebucks neue Freundin war bereits unterwegs, hatte die Hühner des Nachbarn und das letzte lebende Schwein im Stall gefüttert. Sie stand mit einer dampfenden Tasse Kaffee bei den Soldaten, diese wurden von Edwards gerade über den geplanten Ablauf des Hausbesuchs unterrichtet. Roebuck hatte ihr zwei weitere Becher für den Opa und ihren Stiefvater in die Hand gedrückt, außerdem noch Kaffee-Extrakt und Milchpulver für die nächsten Tage. Sie entdeckte zudem die Waschpulverrationen in der M3, welche sie geschenkt bekam.
Huckys Widerstand gegen die Ausplünderung der Vorräte schwand in dem Moment, als sie ihn herzlich umarmte und er ihre weiblichen Rundungen durch die Uniform spüren konnte.
Er erinnerte sich in diesem Moment wehmütig an den Abschied von seiner Freundin Dorothy vor gut sieben Monaten, als er sich freiwillig, wie viele Freunde von ihm auch, für die Invasion meldete und sie ihn zu Hause in Allentown, Pennsylvania, bis zum Bus gebracht hatte. Vor seinen Freunden täuschte er einen Niesanfall vor und wischte sich heimlich die Tränen ab. Später im Zug nach New York zog er das kleine Erinnerungsfoto hervor und betrachtete es ausgiebig.
Ob sie noch da war, wenn er aus dem Krieg zurückkkam? Würde sie auf ihn warten? In Frankreich hatte er das letzte Mal von ihr Post bekommen. Als sie bei der Postverteilung in einem verlassenen Gehöft von einem deutschen Flugzeug beschossen wurden, musste er wie die anderen alles stehen und liegen lassen und sich retten. Als sie wiederkamen, war die ganze Heimatpost verbrannt. Ausgerechnet dieser Laster hatte einen Volltreffer bekommen.
Edwards ließ die M3 noch voll aufmunitionieren und alle Mann außer Jonas aufsitzen. Hucky wusste in diesem Moment noch nicht, dass er soeben das letzte Mal in seinem Leben eine Waffe geladen hatte. Letchus saß mit der demontierten Funkanlage ganz hinten, um notfalls Hilfe holen zu können, Private Piece hatte das Scharfschützengewehr in der Hand, neben ihm lehnte eine Panzerfaust als eventuelle Notmaßnahme.
Während die ersten Sonnenstrahlen über den Hardtwald lugten, ratterten sie schon das Kopfsteinpflaster hinunter in Richtung des Gutshofes von Bauer Dollmann. Irgendwo im Ort läutete ein armseliges Glöckchen und rief die Gläubigen zur Frühmesse.
Zumindest die Kirche fand nach Kriegsende langsam zur Normalität zurück, obwohl besonders viele Kirchengebäude durch die heranrückenden Alliierten zerstört worden waren, da die Wehrmacht es oft für hilfreich ansah, den Kirchturm als bewaffnete Aussichtsplattform zu missbrauchen. Die heranrückenden Armeen nahmen deshalb meist zuerst die Türme unter Artilleriebeschuss, was oft ausreichte, damit sich ein Ort kampflos ergab.
Ein paar Bauern mit Pferdewagen sahen ihnen erstaunt hinterher und hoben zum Gruß ihre Mützen. Nach gut zehn Minuten Fahrt erreichten sie die großzügig angelegte Einfahrt des Gutshofs, wo ein älterer Mann in einem zerschlissenen schwarzen Anzug gerade das große Tor hinter sich schloss. Edwards lehnte sich hinüber zu Vickers und rief ihm durch das offene Fahrerfenster zu: »Sind Sie Bauer Dollmann?«
Der Mann schüttelte den Kopf, nahm seinen Hut ab, machte einen Diener und rief: »Bonjour!« Dann öffnete er das Tor wieder und wies die Fahrzeuge in den Hof hinein. »Er ist im Haus!«
Vickers gab Gas und fuhr durch die Einfahrt auf den Vorplatz, wo gerade der Knecht Edgar aus dem Stall heraustrat, als sich das Fahrzeug näherte. Auch er machte artig einen Diener und legte die Hand an die Mütze.
Auf Anweisung der Besatzungsmächte mussten nach Kriegsende alle alliierten Soldaten von der deutschen Zivilbevölkerung gegrüßt werden, sofern es gerade möglich war.
Der dreihundert Jahre alte Bauernhof stand etwas abseits am südlichen Ortsrand, mitten zwischen den Getreidefeldern, eingerahmt von einer verwitterten Steinmauer und turmhohen Pappeln, deren abgefallene Blüten überall herumlagen. Das mit schwarzen Ziegeln
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