TTB 103: Die Zeit und die Sterne
Mister?«
»Folat ... ja, ich erinnere mich, das ist ein Dorf nördlich von unserem Lager«, sagte Baldinger.
»Aber Wilde fahren doch nicht aus Neugier über einen unbekannten Ozean«, stammelte ich.
»Diese tun es«, grunzte Haraszthy. Man konnte fast sehen, wie seine Gedankengänge waren. Hier boten sich ungeheure kommerzielle Möglichkeiten. Nahrungsmittel, Textilien, und besonders dieses phantastische Kunsthandwerk. Als Ausgleich könnte man ...
»Nein!« rief Vaughan aus. »Ich weiß, was du denkst, Haraszthy. Du verdammter Krämer, du wirst hier keine Maschinen herbringen!«
Der große Mann warf seinen Kopf in den Nacken. »Wer sagt das?«
»Ich, und dabei habe ich die Autorität der Wissenschaft hinter mir. Und ich bin überzeugt, daß der Rat für extraterrestrische Angelegenheiten meine Entscheidung gutheißen wird.« Leiser fügte er hinzu. »Wir können es nicht riskieren.«
»Was ist ein Rat?« fragte Mierna. Der Schatten eines Zweifels ging über ihr Gesicht. Sie schob sich näher an ihr mächtiges Tier heran.
Ich streichelte ihren Kopf und murmelte: »Nichts, worüber du dir Sorgen machen müßtest, Kind.« Um ihre Gedanken – und auch die meinen – von vagen Befürchtungen abzulenken, fragte ich sie: »Warum nennst du diesen Burschen ein Ontatherium? Das kann doch nicht sein wirklicher Name sein.«
»O nein.« Sofort vergaß sie ihre Sorgen. »Er ist ein Yao, und Ontatherium ist nur mein Name für ihn. Er gehört mir, und er ist lieb.« Sie zog an einem der langen Fühler. Das Ungeheuer fing tatsächlich an zu schnurren.
»Wer hat erklärt, daß die Endung ›therium‹ in der Biologie für Säugetiere steht?« fragte ich. Niemand wußte es, aber zweifellos hatte einer unserer Wissenschaftler das Wort in irgendeinem Zusammenhang erwähnt. Und die kleine Mierna hatte es von einem fremden Seefahrer zufällig aufgeschnappt und absolut korrekt angewendet. Denn ungeachtet seiner Fühler und der insektenähnlichen Augen war der Yao ein echtes Säugetier.
Nach einer Weile kamen wir auf eine gerodete Fläche, die sanft abfallend zu einer Meeresbucht überleitete. Am Rand der glitzernden Wasserfläche lag das Dorf, Häuser aus Holz, deren schilfgedeckte Dächer schnabelförmig aufgebogen waren. Der Stil war ein anderer, als wir in Dannikar beobachtet hatten, aber darum nicht weniger hübsch. Alles machte einen wohlgepflegten, sauberen Eindruck. Auslegerkanus waren auf den Strand gezogen, wo Fischernetze zum Trocknen hingen. Etwas abseits war ein anderes Boot im Wasser verankert. Der geschwungene, buntbemalte Rumpf, die zwei Steuerruder zu beiden Seiten, die Mattensegel und die Takelung aus Lederstreifen hätten auf unserer übermechanisierten Erde einen eher primitiven Eindruck gemacht. Aber das Boot besaß Gaffeltakelung und ganz offensichtlich einen Kiel, der es nicht zuließ, daß man es wie die anderen Boote an Land zog.
»Ich habe mir fast so etwas gedacht«, sagte Baldinger mit unsicherer Stimme. »Dieser Pengwil hat ein praktisches Boot gebaut und das Kreuzen gegen den Wind entdeckt. So konnte er das Meer in einer Woche oder so überqueren.«
»Er hat auch die Navigation erfunden«, ergänzte Lejeune.
Die Dorfbewohner, die uns nicht landen gesehen hatten, ließen jetzt ihre Arbeiten liegen – Kochen, Weben, Schnitzen, die zahllosen Tätigkeiten der Primitiven – und kamen gerannt. Alle waren ebenso einfach gekleidet wie Mierna. Abgesehen von den großen Köpfen, den seltsamen Händen und Ohren und den etwas anderen Körperproportionen, waren die Frauen ein durchaus erfreulicher Anblick; zu erfreulich nach jahrelangem Zölibat. Die bartlosen, langhaarigen Männer waren auf ihre Weise ebenso gutaussehend, und beide Geschlechter bewegten sich geschmeidig wie Katzen.
Es gab kein Geschrei und kein Gedränge. Nur unten am Strand erklang ein Horn. Mierna rannte zu einem älteren Mann, faßte ihn bei der Hand und zog ihn näher. »Das ist mein Vater«, krähte sie triumphierend. »Ist er nicht wunderbar? Und er denkt so viel. Sein jetziger Name ist Sarato, aber sein letzter Name gefiel mir besser.«
»Man wird des gleichen Wortes allmählich müde«, sagte Sarato lächelnd. »Willkommen, Erdleute. Es ist uns eine große ... Lula ... pardon, das Wort ist mir entfallen. Sie erheben uns hoch durch Ihren Besuch.« Sein Händedruck – Pengwil mußte ihn über diese Sitte unterrichtet haben – war hart, und seine Augen begegneten uns respektvoll, aber ohne Furcht.
Die Dorfgemeinschaften der
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