TTB 104: 200 Millionen Jahre später
um mein Aussehen. Ich bin krank von meiner langen Kletterei. Und bitte, akzeptiere meine Entschuldigung. Ich habe dich nicht erkannt. Ich dachte, ein Wachtposten hätte mich entdeckt.«
Holroyd lächelte halb. Der körperlich unsterbliche Ptath brauchte sich nicht um Pfeile zu sorgen. Das Problem war, herauszufinden, warum diese Meuchelmörderin Prinz Ineznio töten wollte, und warum sie glaubte, eine Entschuldigung würde genügen. Er betrachtete sie, während sie mühsam zu ihm emporkroch. Auf drei Meter Entfernung entpuppte sie sich als eine schmutzige, abgerissene, erbärmlich aussehende Kreatur. Ihr strähniges Haar war schlammverklebt, und ihre Kleidung, graue Shorts und Bluse, zeigte große Schmutzflecke von Erde und Seewasser. Der Gesamteindruck war der eines Menschen, der sich am Ende seiner körperlichen Kraft befand. Holroyd runzelte die Stirn. Was sollte er mit ihr tun? Er durfte das Risiko nicht eingehen, daß sie noch einmal auf ihn schoß. Ptaths Leib mochte unsterblich sein, doch empfand er den Schmerz. Als die Frau die Felskante direkt unterhalb der Brüstung erreichte, sagte er ruhig:
»Wirf lieber Pfeil und Bogen und das Schwert die Felswand hinunter. Ich kann dich damit nicht herauflassen. Tue es dir zuliebe rasch, dann werde ich dir heraufhelfen.«
Die Frau schüttelte den Kopf. Ihre Stimme klang leidenschaftlich, als sie erwiderte: »Ich werde das Schwert nicht aufgeben. Lieber springe ich in den Abgrund hinunter, als lebendig in die Hände der Palastpolizei zu fallen. Ich gebe dir Bogen und Pfeile. Damit kannst du mich auf Distanz halten. Doch das Schwert behalte ich.«
Mit diesem Fanatismus konnte er nicht argumentieren. Er ergriff den ihm zitternd entgegengehaltenen Bogen und die Pfeile, langte dann hinunter und zog die Frau nach einem Augenblick der Anstrengung zu sich herauf. Kein Tier hätte schneller oder verschlagener handeln können, als sie in diesem Moment. Sie war im Begriff, über der Steinbrüstung erschöpft zusammenzubrechen. Doch die Bewegung war eine Finte, die es ihr ermöglichte, unbemerkt das Schwert zu ziehen und sich mit einer plötzlichen Seitenbewegung ihres Körpers auf ihn zu stürzen.
Holroyd sprang zurück und ließ in seiner Überraschung den Bogen und den Köcher mit den Pfeilen fallen. Sie griff danach und schleuderte die Pfeile über ihre Schulter zur Klippenwand zurück, noch während sie auf ihn zuschnellte. Und dann war sie über ihm. Ihr knochiger Körper verdrehte sich, als sie mit dem Schwert zustieß. Der Stoß ging daneben, als Holroyd seinen Oberkörper zur Seite riß. Er hatte seine Füße jetzt in besserer Gewalt. Und doch war sie erstaunlicherweise viel schneller als er. Ohne sich um seine zupackenden Hände zu kümmern, warf sie sich in völliger Selbstpreisgabe auf ihn. Doch selbst jetzt hätte sie ihn verfehlt, wenn Holroyd nicht in diesem Moment eine seltsame Entdeckung gemacht hätte. Ihr Schwert war aus lackiertem Holz gemacht. Holz!
Die Überlegung, daß in Gonwonlane selbst eine derartige Waffe nicht aus Metall hergestellt war, ließ ihn zögern. Die Spitze des schwertähnlichen Stabes traf ihn auf der rechten Brust. Der Schmerz war unbedeutend. Es war reiner Instinkt, nicht Absicht, der Holroyd rasch zupacken ließ. Er ergriff die Waffe kurz vor dem Heft und riß sie der Frau mit einem kräftigen Ruck aus den Fingern. Er wurde gewahr, daß sie die Holzwaffe mit weitaufgerissenen Augen anstarrte und entgeistert murmelte:
»Der Zauberstab ... Er kann dir nichts anhaben!«
»Der was? « entgegnete Holroyd. Dann merkte er, was sie meinte. Die Schwertklinge kribbelte in seinen Fingern, als ob sie ein eigenes Leben enthielte. Sie vibrierte wie eine angeregte Stimmgabel. Ihre Pulsierungen wärmten seine Hand, bis es ihm zu heiß wurde. In gewissem Sinne fühlte sich die Klinge genauso an wie L'Onees Hand, als sie den Gebetsstab berührt hatte. Holroyd ließ das Schwert wie eine glühende Kohle fallen. Bevor er es sich anders überlegen konnte, hatte sich die Frau gebückt, die Waffe an sich gerissen und in weitem Bogen über die Felswand hinausgeschleudert. Dann wirbelte sie herum und blickte Holroyd an.
»Hör mir genau zu«, sagte sie. »Der Stab hätte dich töten sollen. Die Tatsache, daß er es nicht getan hat, zeigt, daß einige der Frauen dort draußen« – sie wies mit der Hand zum Horizont, ostwärts und südwärts – »zu ihren Gebetsstäben beten. Eine jämmerlich kleine Zahl zwar, doch« – und ihre Stimme wurde nachdenklich
Weitere Kostenlose Bücher