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Türkisgrüner Winter (German Edition)

Türkisgrüner Winter (German Edition)

Titel: Türkisgrüner Winter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carina Bartsch
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einem Lächeln.
    Den Blick auf uns gerichtet, pfiff der Schaffner ein zweites Mal. Alena löste die Hand von meinem Arm und ich stieg ein. Die Türen schlossen sich und durch die trübe Fensterscheibe konnte ich Alena sehen, die mir vom Bahnsteig aus zuwinkte. Immer noch etwas durcheinander hob ich die Hand und erwiderte ihre Geste. Der Zug setzte sich in Bewegung.
    »Emely, ich habe wirklich nicht die geringste Ahnung, was zwischen euch beiden vorgefallen ist – aber was auch immer Elyas getan hat, es tut ihm wirklich sehr leid.«
    Ihre Worte hallten mir ständig durch den Kopf. Erst als der Zug den Bahnhof bereits verlassen hatte, fiel mein Blick auf die Hand, in der ich den weißen Umschlag hielt. Es war eine Fototasche.
    »Darf ich mal durch?«, fragte eine junge Frau hinter mir.
    »Natürlich.« Ich hievte meine Reisetasche hoch, die den Weg ins Abteil versperrte, und schlängelte mich hinter der Frau durch die Sitzreihen. Vor dem ersten freien Platz, den ich fand, blieb ich stehen und wuchtete unter den Blicken von mindestens zehn nicht gerade hilfsbereiten Männern die Tasche auf die Gepäckablage über dem Sitz. Manchmal fand ich Emanzipation echt scheiße.
    Ich setzte mich, schnaufte und sah eine Weile gedankenverloren aus dem Fenster. Nun ging es also tatsächlich zurück nach Berlin … Ich dachte an meine Wohnung, an Eva und die Uni. Ich kannte jedes Detail, wusste, wo welche Lampe stand und in welchem Eck meine Bücher zu finden waren. Und doch wirkte dieser Ort fremd auf mich.
    Nach einer halben Stunde Fahrt kramte ich den MP3-Player aus meiner Messenger-Bag und steckte mir die kleinen Hörer ins Ohr. Ville Valo mit seiner Band »Him« ertönte. Ich seufzte. Auf Ville Valo war jedes Mal Verlass. Durch ihn wusste ich, dass es auf dieser Welt immer mindestens einen Menschen gab, der noch depressiver war als ich.
    Das zweite Lied erklang. »9 Crimes« von Damien Rice . Ich lehnte mich zurück, schloss die Augen und lauschte der Musik. Als der Zug um eine Kurve bog und leicht ins Rütteln geriet, öffnete ich sie wieder. Mein Blick fiel auf den Umschlag, den ich auf die kleine Ablage unter dem Fenster gelegt hatte. Es war nicht schwer zu erahnen, welche Fotos sich darin befinden würden. Eine ganze Weile ruhte mein Blick darauf. Dann sah ich zurück aus dem Fenster. Nur aus meinem Augenwinkel wollte der weiße Umschlag nicht weichen, wirkte wie ein Fleck in meiner Iris. Einige hundert Meter später griff ich doch danach.
    Ich holte den Stapel Bilder heraus und hielt ihn im Schoß. Gleich auf dem ersten Foto blickte mir mein eigenes Gesicht entgegen. Ich saß im Esszimmer vor dem Tisch und starrte vor mich ins Nichts. Offenbar hatte ich nicht registriert, dass ich fotografiert worden war. Hatte ich etwa den ganzen Abend so trostlos dreingesehen? Kein Wunder, dass Alena etwas gemerkt hatte.
    Ich sah mir das Foto genauer an und entdeckte Elyas, der versetzt hinter mir stand und an der Wand lehnte. Mein Herz schlug schneller. Könnte ich mir diesen Mann jemals ansehen ohne Liebe für ihn zu empfinden?
    Sein Blick war auf mich gerichtet, auf meine Rückseite, in einer Weise, dass ich Wärme im Bauch spürte. Unter seinen Augen lagen Schatten, die mir bei unseren kurzen Blickkontakten an Weihnachten nicht aufgefallen waren. In den Augenwinkeln gingen sie in kleine Fältchen über und passten so gar nicht zu seiner sonst so glatten Haut. Elyas sah so müde aus, wie ich mich seit zwei Monaten fühlte.
    Ich blätterte weiter. Es folgte ein Foto von mir und meiner Mutter. Ich hielt mich nicht lange bei meinem gekünstelten Lächeln auf, sondern suchte sofort nach Elyas. Leider war er abgeschnitten und kaum zu sehen.
    Danach kam eine Reihe von Bildern, auf denen nur Ingo, mein Vater, Sebastian und Alex zu sehen waren. Ich überflog jedes nur kurz und stoppte erst wieder, als ich mich neben Elyas erkannte. Vor der Brust hielt ich die kleine Ligeia. Es war das Foto von der »Taufe«, wie Alena den Moment genannt hatte. Ich wusste noch, wie es sich für mich angefühlt hatte, so nah neben Elyas zu sitzen. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, schien die Situation auch für ihn nicht angenehmer gewesen zu sein. Das Lächeln auf seinen Lippen erreichte nicht seine Augen.
    Als nächstes folgten Aufnahmen der Bescherung. Alex, meine Mutter, Ingo, Alena – auf jedem Bild war die Freude über die Geschenke groß. Nur die Freude von Elyas‘, der hin und wieder zu sehen war, unterschied sich von der der anderen. Er wirkte

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