Türkisgrüner Winter (German Edition)
Hosentasche. Super. Der letzte Bus war vor zwei Stunden gefahren. Eigentlich war mein Plan gewesen, mich von Alex und Sebastian mitnehmen zu lassen, aber mit der Bitte sollte ich jetzt womöglich doch noch ein bisschen warten.
Zum Laufen war es leider zu weit, und somit tat ich das Einzige, was mir noch übrig blieb: Ich nahm einen tiefen Schluck aus dem Becher. Wenn Zwölfjährige sich ins Koma saufen konnten, dann konnte ich das erst recht.
Natürlich war mir bewusst, dass Alkohol keine Lösung war, aber das war Wasser schließlich auch nicht. Und für den Moment wusste ich mir einfach nicht mehr anders zu helfen. Seit Wochen war ich wegen diesem Mann nervlich am Ende. Meine Grenzen waren erreicht.
Mit inzwischen latent vorhandenen, alkoholbedingten Motorikstörungen tastete ich mich Meter für Meter durch die Wohnung. Das Letzte, was ich jetzt gebrauchen könnte, war auf Elyas zu treffen. Ich sah mich ständig um und hielt mich geduckt. Doch zu spät.
»Emely, warte!«, hörte ich seine Stimme auf einmal hinter mir rufen.
Warten? Natürlich. Im nächsten Leben. Panisch suchte ich das Weite. Aber seine Schritte wurden schneller und lauter, und schon kurz darauf spürte ich seine Hand, die meinen Arm umgriff.
»Nicht anfassen!«, sagte ich. Ich riss mich los und wollte weiter, wurde allerdings von Elyas überholt und ausgebremst, sodass ich fast gegen seine Brust gerannt wäre.
Er musste den Zorn darüber in meinen Augen gesehen haben, denn sofort vollführte er mit den Händen eine besänftigende Geste. »Emely, hey, jetzt reagiere bitte nicht über. Lass uns einfach darüber reden, okay?«
»Da gibt es nichts zu reden!« Den Satz kaum zu Ende gesprochen, wollte ich mich an ihm vorbeidrängeln, doch er streckte den Arm aus und schob mich zurück.
»Es gibt sogar einiges zu reden. Bitte, Emely, lass uns einfach nach draußen gehen und darüber sprechen.«
»Und wo soll das sein? Lass mich raten, auf der Rücksitzbank deines Mustangs?« Ich schnaubte, fuhr herum und lief in die andere Richtung.
»Wenn das dein Wunsch ist, Hase, können wir unsere Unterhaltung im Anschluss dort sehr gerne weiterführen«, sagte er mit einem Grinsen, nachdem er mich wieder eingeholt hatte. »Aber zuerst lass uns bitte reden, Emely.«
Ich verkreuzte die Arme vor dem Bauch und hätte ihm am liebsten den Hals umgedreht.
»Vergiss es«, sagte ich. »Du hast schon genug angerichtet, du … du … du …«
»Ich?«, fragte er mit hochgezogener Augenbraue.
»Du … Du … Du mit deiner blöden Säuselstimme!«
Säuselstimme? Toll, Emely, na wenn er jetzt nicht heult, dann weiß ich auch nicht … Abermals versuchte ich, an ihm vorbeizukommen.
»Säuselstimme?«, wiederholte er leicht irritiert, während er mich erneut mit dem Arm zurück schob.
»Jetzt hör gefälligst auf, mich anzufassen!«
»Dann hör du auf, andauernd vor mir wegzulaufen!«
»Begreifst du nicht, dass ich nicht mit dir reden möchte?«
»Ich will aber über das reden, was passiert ist!«, antwortete er.
»Ich sagte dir schon, dass es nichts zu reden gibt! Weil nämlich überhaupt nichts passiert ist!«
» Das nennst du nichts?«, fragte er.
Aus Wut über mich selbst gab ich einen knurrenden Laut von mir. Wie hatte ich mich nur auf ihn einlassen können?
»Also gut, wenn du reden willst, bitte – Ich habe einfach zu viel getrunken, das ist alles.«
»Das ist alles?« Er glaubte mir kein Wort.
Innerlich war mir zum Fluchen zumute. Ich musste mir eindeutig etwas Überzeugenderes einfallen lassen.
»Ja verdammt, das ist alles! Dank deiner netten Schwester weiß ja nun jeder, wie lange ich keinen Sex mehr hatte. Und dass du eine gewisse Wirkung auf Frauen hast, brauche ich dir wohl nicht zu sagen. In der Verbindung mit dem Alkohol«, ich schnappte nach Luft, »hatte ich einfach die Kontrolle verloren! Das ist alles. Zufrieden? Kann ich jetzt endlich durch?«
Mit skeptisch zusammengekniffenen Augen betrachtete er mich eine Weile und schien abzuwägen, ob er mir das gerade Gesagte abkaufen sollte oder nicht.
»Und wieso bist du dann so durcheinander?«, fragte er.
Ich hasste ihn, ich hasste ihn, ich hasste ihn!
»Ich bin nicht durcheinander! Ich bin wütend!« Zum wiederholten Male drehte ich mich von ihm weg und ergriff die Flucht.
Die Katastrophe war perfekt: Niemals mehr würde ich aus dieser Nummer herauskommen. Er wusste, dass ich mich in ihn verknallt hatte. Er wusste es.
Wieso war ich nur hierhergekommen?
Nicht wissend, was ich sonst tun
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