Türkisgrüner Winter (German Edition)
haargenau dasselbe träumten. Wobei die Chancen bei Letzterem ungefähr bei eins zu einer Milliarde liegen.«
Ich schluckte. Eigentlich hatte ich gedacht, Gewissheit würde mir weiterhelfen, doch alles, was mir jetzt durch den Kopf ging, war ein »Oh Gott«. Kein Ton kam über meine Lippen. Und so standen wir uns schweigend gegenüber, tief in den Augen des anderen versunken. Wenn ich mich jetzt auf die Zehenspitzen stellen würde, könnte ich ihn küssen. Aber sobald ich das Gewicht auf die Fußballen balancierte, ließ ich mich sofort wieder zurück auf die Fersen sinken.
»Darf ich dich noch mal in den Arm nehmen?«, fragte Elyas. Er trat einen Schritt auf mich zu, wartete auf meine Zustimmung und legte dann die Arme um mich. Wir drückten uns nicht, vielmehr hielten wir uns ganz sachte aneinander fest. So als würden wir schüchtern miteinander tanzen. Unsere Wangen berührten sich. Seine Atmung traf auf meinen Hals. Es gab keine Stelle an meinem Körper, die nicht mit Gänsehaut überzogen war.
Langsam strich seine Wange meine entlang, fuhr über meinen Wangenknochen, der ihn zu meinem Mund leiten würde. Mein Herz schlug schnell, viel zu schnell. Leicht öffnete ich die Lippen und schloss die Augen. Elyas neigte den Kopf, strich über meinen Mundwinkel. Meine Atmung wurde zittrig. Und dann spürte ich seine Lippen, die ganz behutsam meine berührten. Sie waren weich und bedeckten meinen Mund mit sanften kleinen Küssen. Ich ließ die Hände seinen Rücken hinauf wandern und legte sie in seinen Nacken, streichelte mit den Fingerspitzen seine Haut. Zaghaft begann ich Elyas‘ Küsse zu erwidern, versuchte dabei genauso zärtlich zu sein wie er. Ich hörte ihn einatmen und spürte, wie er die Lippen ein klein wenig öffnete. Ich drückte meinen gestreckten Körper gegen seinen. Das Blut rauschte mir so schnell durch die Adern, dass ich es in den Ohren pulsieren hörte. Unsere Zungen berührten sich, ganz zart, ganz weich.
Ich zerfloss in seinen Armen. Meine Knie wurden weich wie Schnee und ein angenehmer Schwindel überkam mich. Immer wieder öffneten und schlossen wir unsere Lippen, die Küsse wurden von Mal zu Mal intensiver. Die ganze Welt um uns herum schrumpfte auf ein Minimum zusammen, sodass nur noch wir beide darin Platz hatten. Seine Hände legten sich sachte auf meinen Hals, seine Daumen auf meine Wangen, und er hörte nicht auf, mich zu küssen. Ich hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren, und von einem Fluss aus Empfindungen weit, weit weg getragen zu werden …
Unser Kuss dauerte lange. Und noch viel länger standen wir uns gegenüber, Stirn an Stirn, Nasenrücken an Nasenrücken, und konnten uns nicht voneinander lösen. Als Elyas dann rückwärts lief, glitten unsere Finger nur sehr langsam auseinander, so als würden sie jede Sekunde wieder zugreifen wollen.
Bestimmt zehn Minuten stand ich auf dem Hof und sah dem Mustang nach, selbst als er längst nicht mehr in Sichtweite war. Leicht wie eine Feder drehte ich mich schließlich weg und schlenderte über den Vorplatz in Richtung meines Wohnheims.
Fest in Elyas‘ Pullover eingekuschelt, lag ich eine Weile später in meinem Bett und lauschte über Kopfhörer dem wunderschönen Klavierlied. Meinem Klavierlied.
Was war das heute nur für ein Tag gewesen? Er kam mir vor wie ein Traum. Aber wenn ich die Augen schloss und Elyas‘ Lippen wieder auf meinen spüren konnte, wusste ich, dass es keiner war. Ich fühlte mich so anders als sonst. Es waren nicht nur die Glücksgefühle, da war noch viel mehr. So als wäre Elyas ein fehlendes Stück gewesen, das mein Leben vervollständigte. Ein verlorenes Bestandteil, eine immer vermisste Komponente, ohne die ich mich nicht ganz hatte fühlen können.
Jetzt hatte ich sie gefunden. Ich war komplett.
An Schlaf war in dieser Nacht nicht zu denken. Um vier Uhr morgens lag ich immer noch hellwach mit einem Lächeln auf den Lippen im Bett und hörte Elyas beim Klavierspielen zu. Dann geschah etwas, mit dem ich um diese Uhrzeit überhaupt nicht gerechnet hatte. Mein Handy klingelte. Eine SMS.
»Nicht rangehen«
Schläfst du schon?
»Emely«
Der Versuch war zwar da, aber es will mir nicht gelingen.
»Nicht rangehen«
Das kommt mir sehr bekannt vor. Außerdem plagt mich eine Frage.
»Emely«
Welche Frage?
»Nicht rangehen«
Ich würde gerne wissen, wann ich dich wieder sehe.
»Emely«
Du bist sehr süß, Elyas. Wahrscheinlich sehen wir uns schon in ein paar Stunden. Alex hat mich zum
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