Türkisgrüner Winter (German Edition)
darfst noch ein wenig weiterleben.«
Elyas lachte leise. »Ja, so kann es laufen«, sagte er. »Da reißt man sich monatelang den Arsch für eine Frau auf, und am Ende ist man sogar glücklich darüber, wenn man die Erlaubnis bekommt, noch ein bisschen weiterleben zu dürfen.«
Einerseits zuckten meine Mundwinkel nach oben, anderseits konnte ich das Gesicht gar nicht tief genug an seinem Hals vergraben. »Das klingt grausam, wenn du das so sagst.«
»Ach, mach dir nichts daraus, Emely. So blöd können nur Männer sein, wenn es um eine Frau geht. Das ist schon tausenden vor mir passiert.«
Ich piekte ihn in die Seite. »Vielleicht sollten wir ja doch gehen. Du fängst nämlich an, ganz schön frech zu werden.«
Wieder lachte Elyas. »Ja, das sollten wir. Sonst lasse ich dich womöglich nicht mehr los und habe in ein paar Stunden einen Eisklotz im Arm.« Er strich mir ein letztes Mal über die Haare, hauchte mir einen Kuss auf die Wange und löste sich von mir. Als er vor mir stand und ich allein auf der Mauer saß, spürte ich erst, wie kalt es tatsächlich war.
Elyas reichte mir die Hand, und nachdem mein Blick für ein paar Sekunden darauf geruht hatte, umschloss ich sie mit meiner und erhob mich. Eigentlich dachte ich, er hätte mir nur auf die Beine helfen wollen, doch selbst als wir die ersten Schritte Richtung Heimweg taten, ließ er nicht los. Es fühlte sich gut an, seine langen Finger zwischen meinen zu spüren.
Was sagte man noch mal über Männer mit langen Fingern?
Nichts! Absolut gar nichts sagte man über Männer mit langen Fingern! Nicht eine Silbe sagte man über sie! Punkt.
Ich wischte den Gedanken weg und konzentrierte mich stattdessen auf das Gefühl, das Elyas‘ Daumen auf meinem Handrücken hinterließ. In kleinen, kreisenden Bewegungen streichelte er ihn.
»Deine Hand ist ganz kalt«, sagte er. Langsam hob er unsere verschlungenen Hände an und führte sie zu seinem Mund. Seine Lippen berührten meine Haut, küssten meinen Handrücken. Die Wärme, die davon ausging, bahnte sich einen Weg zu meinem Herzen. Ich lächelte, und er lächelte zurück.
Ohne uns auch nur eine Sekunde loszulassen, spazierten wir durch die verlassenen und von Laternen erhellten Straßen in Richtung meines Wohnheims. Es war, als wären wir die einzigen Menschen in ganz Berlin, die einzigen Menschen auf der ganzen Welt.
Nur wir.
Elyas und Emely.
Je näher wir unserem Ziel kamen, desto langsamer wurden wir. Schon von weitem war die nächtliche Beleuchtung der nahen Hochschule zu erkennen und von dort war es nicht mehr weit zu meinem Wohnheim. Als wir vor dem Hof angelangten, blieben wir beide stehen. Unsere Hände hielten sich fest umschlungen.
»Soll ich dich noch mit hoch bringen?«, fragte er.
Ich wollte nicht, dass er ging. Aber wenn ich mich von ihm nach oben bringen ließe, würde er vor der Tür fragen, ob ich ihn hereinbitte. Und dann würde er Eva aus dem Fenster werfen und dann …
Nein, vermutlich war es keine gute Idee, mich von ihm begleiten zu lassen.
Oder doch?
Mein Kopf und mein Herz waren sich nicht einig. Doch mein Kopf gewann die Oberhand. »Das ist lieb, Elyas. Aber ich denke, ich werde die letzten Meter allein zurückfinden.«
»Okay«, sagte er mit einem Lächeln.
Wahrscheinlich wäre jetzt der Punkt gekommen, sich voneinander zu verabschieden. Doch irgendwie taten wir das nicht. Stattdessen versank ich in dem Türkis seiner Augen. Ich konnte so viel darin sehen. Unausgesprochene Träume, tausende Gedanken, eine junge und gute Seele. Dieses Mal wehrte ich mich nicht. Ich ließ mich mit auf eine weite Reise nehmen.
»Kannst du dich noch daran erinnern, was ich dir nach der Party in meinem Bett gesagt habe?«, fragte er leise.
»Ich-Ich denke schon.«
»Du denkst schon?«
Ich nickte.
»Erklärst du mir das?«, fragte er und strich mir mit dem Daumen über den Handrücken.
»Ehm, na ja«, sagte ich und senkte das Kinn. »Ich bin mir nicht ganz sicher, wann genau ich eingeschlafen bin.«
»Du weißt nicht, ob du dich erinnerst, weil du dir nicht sicher sein kannst, wann du eingeschlafen bist?«
»Ja, so in der Art«, sagte ich. »Im Schlaf hat man ja alle möglichen Hirngespinste.«
»Ach so, jetzt verstehe ich.« Er schmunzelte. »Du bist unsicher, ob es womöglich nur ein schrecklicher Albtraum war.«
Ich hob die Schultern und nickte vorsichtig.
»Da wir beide den gleichen Albtraum hatten, kann es wohl nur bedeuten, dass es tatsächlich passiert ist oder wir durch Zufall
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