Türkisgrüner Winter (German Edition)
das Hier und Jetzt. »Apropos Musik«, sagte er. »Du hast mir heute Morgen geschrieben, dass du einen Ohrwurm hättest.«
Ich schlang die Arme um die Beine und nickte ihm lächelnd zu. Die Melodie war sofort wieder in meinem Kopf präsent.
»Und von welchem Lied?«, fragte er.
»Von dem letzten auf der CD.«
»Das letzte Lied?«, wiederholte Elyas.
»Ja. Eigentlich höre ich gar keine klassische Musik, aber dieses Stück hat es mir von der ersten Sekunde an angetan«, sagte ich. »Es passiert mir selten, vielleicht kennst du das ja: Man hört ein Lied, und irgendetwas geschieht im Kopf, das man gar nicht beschreiben kann, aber man fühlt sich sofort mit der Musik verbunden. Und genauso erging es mir. Ich kann die Melodie irgendwie spüren. Sie überträgt die Emotionen. Ich bekomme gar nicht genug davon.«
Elyas‘ Miene war unergründlich. Einerseits meinte ich ein Strahlen in seinen Augen zu erkennen, andererseits guckte er mich an, als hätte ich während des Erzählens in eine Fremdsprache gewechselt.
»Ist das ein Lieblingsstück von dir?«, frage ich. »Von wem ist es?«
Er antwortete nicht.
»Leider habe ich wenig Ahnung von Klassik. Aber vielleicht ist es ja jemand, von dem selbst ein Kunstbanause wie ich schon einmal gehört habe? Mozart, Beethoven, Brahms, Schumann …?«, zählte ich auf, bis mir peinlicherweise die Namen ausgingen.
Elyas schüttelte den Kopf. »Nein, niemand davon. Es ist eher … Es ist eher von … mir .«
Ich zog die Augenbrauen nach oben. »Von dir?«
»Ja. Ist das schlimm?«
»Nein, um Gottes Willen, nein! Ich bin nur nicht davon ausgegangen, dass du sowas kannst. Das klingt so gar nicht nach einer Marmeladenwerbungs-Hintergrundmusik.«
Er lachte. »Ich mache ja nicht nur Jingles. Solche Stücke wie das auf der CD sind meine eigentliche Leidenschaft. Sie verkaufen sich nur nicht besonders gut.«
»Wow«, sagte ich. »Elyas, das Lied ist der Wahnsinn. Und du behauptest, du wärst nicht gut genug?«
Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel. »Du weißt nicht, wie erleichtert ich bin, dass es dir gefallen hat.«
»Elyas, ich könnte mir keinen Menschen auf der Welt vorstellen, dem es nicht gefallen würde.«
Für einen Moment sah er zu Boden. »Eigentlich war mir nur wichtig, dass es dir gefällt.«
»Was habe ich damit zu tun?«, fragte ich.
»Weil ich es nur für dich geschrieben habe.«
Mir stand der Mund offen. »Du-Du hast es für mich geschrieben?«, stammelte ich. Ich musste mich verhört haben. Oder es war ein Witz. Ja, ein Witz war es. Genau wie damals, als er behauptete, der Soundtrack zu Fluch der Karibik würde aus seiner Feder stammen. Doch Elyas‘ Gesichtsausdruck war ernst und wirkte eher verhalten als erheitert.
Er nickte. »Ja. Für dich.«
Ich sah ihn mit großen Augen an und war zu keinerlei Regung fähig.
»Es ist letzte Woche entstanden«, sagte er. »Wir hatten uns so lange nicht gesehen. Ich lag in meinem Bett und dachte an dich. Habe dich vermisst. Und dann kam mir diese Melodie in den Sinn.« Er zuckte mit den Schultern.
Es war die Woche, in der er sich nicht gemeldet hatte. In der Zeit, in der ich dachte, dass alles verloren war, hatte er mir dieses zauberhafte Lied geschrieben.
Elyas hatte mir ein Lied geschrieben.
Ich spürte, wie meine Augen feucht wurden.
Oh Gott, nein. Heul doch nicht jetzt!
Als ich merkte, dass ich nicht dagegen ankam, wandte ich das Gesicht von ihm ab und versteckte es in den Händen.
Nicht heulen, Emely!
Nicht heulen!
Immer wieder sagte ich mir diese Worte und versuchte mich darauf zu konzentrieren, die Tränen zurückzuhalten.
Du wirst jetzt nicht vor ihm heulen. Reiß dich gefälligst zusammen, du blödes Sensibelchen.
Ich schniefte.
»Emely?«, hörte ich Elyas‘ Stimme, die sich auf einmal viel näher anhörte. »Alles in Ordnung?«
Nicht heulen!
Ich nickte.
»Bist du sicher?«, fragte er.
Ich vergrub das Gesicht noch tiefer in den Händen und nickte erneut. Kein Wort der Welt beschrieb, wie unfassbar blöd ich mir vorkam. Hatte denn nicht schon der vorgestrige Abend gereicht? Ich bin so peinlich, dass es – Genau in dem Moment wurden meine Gedanken gestoppt. Elyas legte mir die Hand auf den Rücken und begann mich zu streicheln. Alles wurde warm. Selbst meine Fingerspitzen.
»Weinst du?«, fragte er. Seine Hand strich meine Wirbelsäule entlang.
»Fast«, sagte ich. Mehr brachte ich nicht hervor.
Er flüsterte. »Weshalb?«
»Gerührt.«
»Du reagierst so, weil du gerührt bist?«
Ich
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