Tunnel - 01 - Das Licht der Finsternis
Übergrundler«, verkündete Cal und bewunderte die schlabberige Jeans mit den aufgerollten Beinen, das weite T-Shirt und die zwei Pullover, die Will ihm zum Überstreifen gegeben hatte.
»Yeah, ein echter Trendsetter«, erwiderte Will lachend.
Bartleby stellte die Brüder vor größere Probleme. Es bedurfte großer Überredungskünste, das zitternde Tier überhaupt bis zur Badezimmertür zu bekommen, und dann mussten sie ihn von hinten, wie einen widerspenstigen Esel, förmlich ins Bad schieben. Es schien, als würde der Kater ahnen, was ihn in dem dampferfüllten Raum erwartete – er machte einen Satz zur Seite und versuchte, sich unter dem Waschbecken zu verstecken.
»Los jetzt, Bartleby, du Stinktier, ab in die Dusche!«, befahl Cal, der allmählich die Geduld verlor, barsch. Widerwillig schlich der Kater in die Dusche und sah die Jungen mit unglaublich trübsinniger Miene an. Als das Wasser über seine faltige Haut strömte, stieß er ein Jaulen aus und beschloss, es sei genug. Seine Pfoten kratzten und rutschten über den Kunststoff der Duschwanne, als er versuchte hinauszuklettern. Doch Will hielt ihn fest und gemeinsam gelang es ihnen, diese Aufgabe zu erledigen, obwohl alle drei am Ende der Prozedur vollkommen durchnässt waren.
Einmal aus dem Bad, tobte Bartleby wie ein tanzender Derwisch durch die Schlafzimmer, und Will stellte mit dem größten Vergnügen Rebeccas Zimmer auf den Kopf. Während er all ihre sorgfältig gefalteten Kleidungsstücke auf den Boden warf und durchwühlte, fragte er sich, wie um alles in der Welt er darunter auch nur irgendetwas finden sollte, das sich als Kleidung für einen Kater eignete. Doch schließlich entdeckte er ein Paar braune Leggings, die er auf die Länge von Bartlebys Hinterbeinen kürzte, und einen alten violetten Benetton-Pullover, den er dem Kater über den Oberkörper streifte. In Rebeccas Reisetasche fand Will eine Bugs-Bunny-Sonnenbrille. Er setzte sie Bartleby auf und zog ihm dann eine gestreifte Wollmütze mit langen Ohrenklappen fest über den Kopf, um die Brille zu fixieren.
In seinem neuen Outfit wirkte Bartleby ziemlich bizarr, und als die beiden Brüder ihr Werk bewunderten, brachen sie in hysterisches Gelächter aus.
»Ja, wo ist denn das hübsche Katerchen?«, kicherte Cal zwischen atemlosen Lachsalven.
»Er sieht besser aus als die meisten, die sonst hier so rumlaufen!«, rief Will.
»Keine Sorge, Bart«, sagte Cal beruhigend und klopfte dem Tier tröstend auf den Rücken. »Sehr … äh … apart«, quetschte er gerade noch hervor, ehe die beiden Jungen erneut in hemmungsloses Wiehern ausbrachen. Der verärgerte Kater warf ihnen durch die rosafarbenen Gläser der Häschenbrille einen empörten Blick zu.
Glücklicherweise hatte Rebecca – so sehr Will sie innerlich auch verfluchte – den Gefrierschrank im Haushaltsraum sorgfältig gefüllt hinterlassen. Er studierte die Anleitung auf der Verpackung der Mikrowellen-Menüs und erhitzte drei Rindfleischgerichte mit Klößen und grünen Bohnen. Gemeinsam verschlangen sie das Essen in der Küche, wobei Bartleby mit beiden Vorderpfoten auf dem Tisch stand und mit seiner rauen Zunge gierig die Aluverpackung ausleckte, um auch noch das letzte Stückchen Fleisch herauszufischen. Cal verkündete, das sei so ziemlich das Beste gewesen, was er jemals gegessen hätte. Allerdings sei er noch immer hungrig – woraufhin Will drei weitere Menüs aus dem Gefrierschrank holte. Dieses Mal verputzten sie Schweinefleisch mit Röstkartoffeln und spülten das Ganze mit einer Flasche Cola hinunter, die Cal in einen wahren Begeisterungstaumel versetzte.
»So, und was machen wir als Nächstes?«, fragte er schließlich und fuhr mit dem Finger über das Glas, in dem Luftbläschen aufstiegen.
»Wozu die Eile? Hier sind wir doch erst mal ganz gut untergebracht«, erwiderte Will. Er hoffte, dass sie sich eine Weile im Haus verkriechen konnten, vielleicht sogar ein paar Tage, damit sie genügend Zeit zum Überlegen hatten, wie es weitergehen sollte.
»Die Styx wissen von diesem Haus – ein paar von ihnen waren bereits hier und sie werden wiederkommen. Vergiss nicht, was Onkel Tam gesagt hat: Wir dürfen auf keinen Fall lange an einem Ort bleiben.«
»Ja, du hast ja recht«, stimmte Will zögernd zu. »Außerdem könnte uns der Makler entdecken, wenn er seinen Kunden das Haus zeigen will.« Er starrte auf die Tüllgardine hinter der Spüle. »Aber ich muss Chester noch da rausholen«, sagte er mit entschlossener
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