Tunnel - 01 - Das Licht der Finsternis
setzte sich auf eine breite Stufe vor einem Gebäude, das so aussah, als sei es einmal ein Tempel gewesen, und zog seine Karte und den Kompass hervor, während Cal Wache hielt.
»Ich habe keine Ahnung, wo wir sind«, gab er zu und steckte die Karte wieder weg. »Es ist hoffnungslos!«
»Wir könnten überall sein«, pflichtete Cal ihm bei.
Will stand auf und schaute sich nach beiden Seiten um. »Ich würde sagen, wir gehen in die gleiche Richtung weiter.«
Cal nickte. »Aber was ist, wenn wir genau dort landen, wo wir hergekommen sind?«
»Spielt keine Rolle. Wir müssen einfach in Bewegung bleiben«, sagte Will und ging los.
Erneut umgab sie Stille, und die geheimnisvollen Formen und Schatten der Gebäude tauchten ein weiteres Mal aus dem Nebel auf und verschwanden wieder darin, als würden die Bauwerke der Stadt einzeln in den Blickpunkt gerückt. Die Jungen kamen nur quälend langsam in den Straßen voran, als Cal Will schließlich am Ärmel zupfte.
»Ich glaube, der Nebel lichtet sich ein wenig«, flüsterte er.
»Na, das ist doch was«, erwiderte Will.
Plötzlich versteifte sich Bartleby erneut und duckte sich fauchend nieder. Die Jungen erstarrten und spähten fieberhaft in die milchigen Schwaden, die sich langsam aufzulösen begannen.
Direkt vor ihnen, keine sechs Meter entfernt – als habe der Nebel einen Schleier gelüftet –, kauerte eine bedrohliche, schemenhafte Gestalt. Gleichzeitig ertönte ein tiefes, kehliges Knurren.
»Oh Gott, ein Spürhund!«, stieß Cal hervor und schluckte.
Den Jungen blieb das Herz stehen, als sie die furchtbare Erkenntnis traf. Sie konnten nur zuschauen, wie er sich erhob, mit den Pfoten seiner muskulösen Vorderbeine scharrte und dann mit verblüffender Geschwindigkeit auf sie zusprang. Es gab absolut nichts, was sie hätten tun können. Weglaufen war sinnlos – er war zu nah. Wie eine Höllenmaschine stampfte der schwarze Hund auf sie zu, während aus seinen aufgeblähten Nüstern Dampf aufstieg.
Will blieb keine Zeit zum Nachdenken. Als er ihn springen sah, ließ er seinen Rucksack fallen und schubste Cal zur Seite.
Der Spürhund schnellte durch die Luft und sprang Will an. Die knüppelartigen Pfoten schlugen gegen seine Brust und warfen ihn flach auf den Rücken, wobei sein Kopf heftig auf den mit Algen bedeckten Boden aufschlug. Halb betäubt griff Will nach oben und packte die Kehle des Monsters mit beiden Händen. Seine Finger ertasteten das dicke Halsband und klammerten sich daran fest, während er sich bemühte, die Bestie von seinem Gesicht fernzuhalten.
Aber das Tier war einfach zu kräftig. Sein Maul schnappte nach Wills Maske, bekam sie zu fassen und biss zu. Will hörte erst das quietschende Geräusch, mit dem seine Fangzähne sich im Gummi der Maske verbissen und diese gegen Wills Gesicht drückten, und dann einen Knall, als eines der Augengläser zersplitterte. Er roch den fauligen Atem des Spürhunds – wie warmes, verwesendes Fleisch –, während das Tier weiterhin an der Maske zerrte und sie so verdrehte, dass sich die Riemen hinter Wills Kopf bis zum Zerreißen spannten.
Will versuchte mit aller Kraft, den Kopf wegzudrehen, inständig hoffend, dass die Maske hielt. Die Zähne der Bestie glitten an dem nassen Gummi ab, doch Wills Erfolg war nur von kurzer Dauer. Der Hund zog sich ein wenig zurück und setzte dann erneut zum Angriff an. Will schrie und hielt eisern an dem dicken Halsband fest; nur mit Mühe gelang es ihm, den Hund von seinem Gesicht fernzuhalten. Das Halsband schnitt ihm in die Finger – er konnte einfach nicht fassen, wie schwer diese Bestie war. Wieder und wieder warf Will den Kopf zurück und entging dabei nur knapp den Zähnen, die wie eine Fußangel zuschnappten.
Plötzlich wand sich das Tier und krümmte den Körper.
Will konnte das Halsband nicht länger mit beiden Händen festhalten, und da der Spürhund nun durch nichts mehr gehindert wurde, steuerte er rasch ein lohnenderes Ziel an. Er bekam Wills Unterarm zu fassen und biss fest zu. Will schrie vor Schmerz und öffnete instinktiv auch die andere Hand; das Halsband rutschte ihm durch die Finger.
Nun ließ sich der Hund nicht mehr aufhalten.
Sofort warf er sich auf Will und versenkte seine Schneidezähne in der Schulter des Jungen. Inmitten des Knurrens und Beißens hörte Will, wie der Stoff seiner Jacke riss, als die riesigen Zähne wie Dolche in seinen Körper drangen. Laut knurrend schüttelte das Tier den Kopf und ließ Will erneut vor Schmerz aufheulen.
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