Tunnel - 02 - Abgrund
diese Leute wären fast so alt wie die Erde. Ich habe dieses Symbol schon viele Male gesehen … es befindet sich auf ihren Tempelruinen.« Drake starrte auf den Anhänger und verfiel in ein Schweigen, das immer länger andauerte und Will von Minute zu Minute ein unbehaglicheres Gefühl bescherte.
Wenn er nicht so abgrundtief erschöpft gewesen wäre, hätte er Drake mit Tausenden von Fragen über diesen Trichter und jenen uralten Menschenschlag bestürmt. Doch im Augenblick konzentrierte er sich lieber auf die nahe liegenden Dinge. Unruhig rutschte er auf der Truhe hin und her und wandte sich dann wieder an Drake: »Du … äh … du hast meine Frage nicht beantwortet … weswegen du uns hilfst …«
Drake sah den Jungen an und schenkte ihm zum ersten Mal ein aufrichtiges Lächeln, das seinen stählernen Blick Lügen strafte.
»Du bist ein sturer, kleiner Mistkerl, stimmt’s? Dein Kumpel Chester erscheint mir nicht annähernd so hartnäckig.« Er lehnte sich zurück und ein nachdenklicher Ausdruck breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Wo einer führt, folgen andere«, murmelte er leise.
»Wie bitte?«, fragte Will, der Drake nicht verstanden hatte.
»Um deine Frage zu beantworten …«, setzte Drake an und richtete sich auf. »Das Leben hier unten ist zwar schwer, aber nur weil wir wie Tiere leben, bedeutet das noch lange nicht, dass wir unsere Menschlichkeit verloren hätten. Allerdings gibt es eine ganze Reihe von Abtrünnigen, die bedeutend weniger entgegenkommend sind als Elliott oder ich. Sie würden dich nur wegen deiner Stiefel töten oder dich am Leben halten zu … wie soll ich es sagen? … zu ihrer eigenen Belustigung. Vor vielen Jahren habe ich Elliott aus den Klauen eines solchen Typen befreit und sie vor einem ähnlichen Schicksal bewahrt.« Er rieb sich die Brust, als würde er sich an eine Verletzung erinnern, die er damals davongetragen hatte. »Ich würde nicht wollen, dass einem von euch so was widerfährt.«
»Oh«, murmelte Will.
Drake stieß erneut einen langen, tiefen Seufzer aus. »Du und Chester … ihr seid nicht wie die wandelnden Halbtoten, die üblicherweise von der Kolonie in die Verbannung geschickt werden – ihr seid nicht verstümmelt oder gefoltert worden oder durch jahrelange Sklavenarbeit gebrochen.« Er rieb die Innenflächen seiner Hände gegeneinander und fuhr dann fort: »Ehrlich gesagt, habe ich nicht damit gerechnet, gleich drei von euch am Hals zu haben.« Er blickte Will fest in die Augen. »Also werden wir einfach abwarten müssen, ob und wie dein Bruder wieder in Form kommt.«
Trotz seiner Erschöpfung erkannte Will die tiefere Bedeutung von Drakes Worten.
»Und du, Sonnyboy, könntest dich ebenfalls als eine ziemliche Belastung entpuppen … mit all den Weißkragen, die deinen Kopf wollen«, sagte Drake gähnend. Als er sich im Raum umsah, wurde sein Gesicht wieder ausdruckslos. »Aber ich muss mehr über das erfahren, was die Styx ausbrüten, ehe wir die Prärie endgültig verlassen. Das wird deinem Bruder Gelegenheit verschaffen, wieder zu Kräften zu kommen. Und wenn wir erst dort sind, wohin wir letztendlich wollen, könnten wir durchaus ein paar zusätzliche, kräftige Hände gebrauchen.«
Will nickte.
»Die Tatsache, dass du Sarah Jeromes Sohn bist und dich in Übergrund auskennst, könnte ein echter Vorteil sein.«
Will nickte erneut, hielt dann aber inne, weil er sich fragte, warum das für Drake so wichtig war. »Wie meinst du das?«
»Na ja, wenn mein Instinkt mich nicht täuscht, dann könnte diese Sache, an der die Styx zurzeit arbeiten, ziemlich große Auswirkungen für alle Übergrundler haben. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass einer von uns beiden einfach nur dasitzen und sie in Ruhe machen lassen würde, oder?« Er hob eine Augenbraue und sah Will fragend an.
»Niemals!«, stieß Will hervor.
»Also, was sagst du?«, fragte der große Mann demonstrativ.
»Wie?«
»Na ja, bist du dabei oder nicht? Willst du dich uns anschließen?«
Verwirrt biss Will sich auf die Lippe. Er fühlte sich vollkommen überrumpelt, sowohl von dem Angebot dieses ziemlich beeindruckenden Mannes als auch von der Andeutung, dass Cal möglicherweise nicht mit von der Partie sein würde. Was würde passieren, wenn sein Bruder sich nicht wieder vollständig erholte? Würde Drake ihn einfach zurücklassen? Außerdem fragte Will sich, was geschehen würde, falls die Grenzer tatsächlich hinter ihm her waren. Wenn seine Anwesenheit sich als zu gefährlich
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