Turils Reise
Gefährt fröhlich pfeifend vor sich herschob, benutzte Schatten einen Wischmopp mit energetischen Fäden, die blutrote und grüne Flüssigkeit in sich aufsogen. Binnen kurzem waren alle Spuren
des Massakers verschwunden. Schatten warf ihm einen finsteren, warnenden Blick zu, bevor er das Reflektorium verließ und Turil alleine ließ.
Alleine …!
Fast jedes der Relikte, die er und seine Vorfahren im Laufe der Jahrhunderte im Reflektorium aufgestellt hatten, war mit Beobachtungs-und Analyseinstrumenten versehen. Die Schuf-Schädel, die er so oft in der Hand gehabt und deren akribische Ziselierungsarbeit er so sehr bewundert hatte, maßen über Berührungen seinen Stressfaktor an. An den Brinzischen Glockenspielen hingen Kameraaugen. Die Spitzen der Nekronadeln waren in Kontaktgift getaucht, die ihn willfährig machen und ihm einen unruhigen Schlaf voller Albträume bescheren sollten. Winzigste Hautproben, die von unsichtbaren und nahezu gewichtslosen Messpflastern im Sekundentakt an Abrasionsstellen überall an seinem Körper genommen wurden, überprüften seine hormonellen Schwankungen. Sein Atem, sein Schweiß, sein Kot, seine Worte - dies alles wurde vom Schiff ständig analysiert.
Fünf Millionen.
Die GELFAR verfügte in ihrem Leib über fünf Millionen Messpunkte, die es ihr ermöglichten, Turil zu überprüfen und zu kontrollieren. Das Zerebral des Schiffes gefiel sich darin, ihm ihre zur Verfügung stehenden Mittel penibelst zu erklären und dem Totengräber seine Ohnmacht so drastisch wie möglich vor Augen zu führen. Das Schiffsgehirn machte sich während der Reise zum Friedenshof Grau nicht einmal mehr die Mühe, seine Beobachtungstätigkeit zu verheimlichen. Winzige Kameras begleiteten ihn auf Schritt und Tritt; mit der Nahrung, die er gezwungenermaßen aufnahm, verschluckte er Sonden, die
sein Inneres ausspionierten. Die GELFAR verbot ihm sogar unliebsame Gedanken, die sie dank regelmäßiger Zerebralanalysen anmessen konnte. Turil war nicht nur gläsern - er war eine Marionette. Ein Gegenstand, noch weniger als ein Roboter. Denn eine Maschine war nicht mit jenen Emotionen belastet, die beim Totengräber immer vehementer durchschlugen.
»Grüß mir Pschoim, wenn du ihn triffst«, sagte die GELFAR, als sie ihn von Bord drängte. Licht und Schatten winkten ihm zu. Die Frau mit einem bezaubernden Lächeln, der Mann ernst und düster wie immer.
»Warum sollte ich?« Turil zuckte mit den Achseln; das Schiff erlaubte ihm diese Regung. »Richte Pschoim doch selbst deine Grüße aus. Du überwachst mich ohnehin.«
Der Zeremonienmantel umfasste ihn enger. Die »Außenstelle« der GELFAR ließ ihn augenblicklich wissen, was sie von seinen Worten hielt. Sie verfügte über ihn, sie steuerte und lenkte ihn.
Friedenshof Grau. Dieser mythenumwobene Versammlungsort der Thanatologen barg womöglich noch mehr Schrecken, als die GELFAR zu bieten hatte. Hier war das Korsett von Regeln und Konventionen noch enger geschnürt als auf den Schiffen. Jedes Wort musste auf die Waagschale gelegt werden, selbst der geringste Ansatz einer Gefühlsregung wurde von den Archivaren registriert. Irgendwo wartete man bereits auf ihn. Die Gremien der Totengräber würden über die Schwere seines Fehlverhaltens befinden, und das Urteil stand sicherlich schon fest. Es gab kein Entkommen aus dieser unerbittlichen Maschinerie, die von alten, verknöcherten Thanatologen und den alles beobachtenden Schiffssphären gesteuert wurde.
Die unergründlichen Steuermechanismen der Sternenstadt, deren Zu-und Anbauten den einstmaligen Kugelkörper zu einem unansehnlichen Müllhaufen gemacht hatten, hatten Turil einen Landeplatz an einem der längsten Andockarme zugeordnet, die wie lange Nadeln aus dem Gebilde hervorstachen. Turil betrat die energetische Landerampe. Helles Funkengestöber brachte ihn hinab zum Empfangskomitee, das aus einer einzigen Person bestand. »Ich grüße dich, Reisender«, empfing ihn der alte Armain mit salbungsvoller Stimme. »Du bist hierher geladen worden, weil du dem Tod und deinem Volk gut gedient hast.«
»Ein Reisender begehrt Einlass«, vollendete Turil die rituelle Begrüßungszeremonie, »und er lässt den Tod an Bord seines Schiffes zurück.«
Beide verbeugten sie sich voreinander, verharrten kurz, und als ein silberner Gong ertönte, war der Formalitäten Genüge getan.
Armain richtete sich auf und starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Du steckst in großen Schwierigkeiten, junger Turil«,
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