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Turils Reise

Turils Reise

Titel: Turils Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marcus Thurner
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Ruhe zu bewahren. Turil watete ins Schlafzimmer zurück, riss zwei Bretter aus der völlig morschen Liegestatt und legte sie vor sich auf den Biotop-Teppich, so dass er zumindest über eine kleine Fläche verfügte, auf der er stehen konnte, ohne im Morast zu versinken. Er sah auf seine Uhr. Er konnte nicht lange ohnmächtig gewesen sein. Dennoch hatten die Krabbeltiere nicht viel Zeit verloren und sich mit unglaublicher Vehemenz über ihn hergemacht. Turil riss sich die Kleider vom Leib und begann mit einer gründlichen Reinigung. Er zählte Dutzende Verletzungen, von denen die folgenschwerste wohl der Verlust der beiden Finger an der linken Hand war. Sorgen machten ihm auch jene Blutsauger, die sich in seinen Geschlechtsorganen verbissen hatten. Ihre Körper waren prallgefüllt mit hellroter Flüssigkeit; nur mühsam lie- ßen sie sich vom Hodensack trennen. Der Totengräber injizierte
sich ein Breitband-Antibiotikum und nahm nun, da die gröbste Arbeit erledigt war, ein zusätzliches Schmerzmittel.
    Blut drang aus den vielen kleinen und kleinsten Wunden; es tropfte schwer zu Boden und färbte sein kleines Floß rot. Mit einem rasch aushärtenden Spritzverband schiente er die angeknabberten, zu blutleeren Stümpfen reduzierten Finger.
    Doch er dachte gar nicht daran umzukehren, nun, da er den Kitar gefunden hatte. In aller Ruhe reinigte Turil sein Gewand mit der Ultraschallfunktion seiner Waffe und zog die Kleider dann neuerlich über. Sie fühlten sich steif und feucht an, hatten sich trotz der ausgezeichneten Imprägnierung mit übelriechendem Brackwasser vollgesogen.
    Mit einigem Widerwillen schlüpfte er in die Stiefel und watete die wenigen Schritte zurück zum Alkoven. Nur allzu deutlich konnte er die Spuren seines Kampfes gegen einen unsichtbaren Gegner erkennen. Er hatte um sich geschlagen, Lianen abgerissen, war hier gestolpert und dort in den Morast gestürzt, um dann ein paar Meter vom Kitar wegzukriechen.
    Da waren auch noch andere Spuren … solche, die nicht von ihm stammten. Sie waren groß und breit und tief und führten zur Veranda. Ein Schatten zeichnete sich hinter dem schlierenüberzogenen Fenster ab.
    Turils Hände zitterten, als er sich eine zusätzliche Schutzmaske ins Gesicht spritzte. Er wartete eine Minute, bis die Masse ausreichend ausgehärtet war. Die Schwindelgefühle ließen augenblicklich nach, die Luft war nun gut atembar.
    Da lag seine Taschenlampe, halb versunken im Morast. Sie war ein robustes Exemplar mit großer Leuchtkraft und
langlebigen Akkus. Der Totengräber reinigte sie sorgfältig vom Schlick. Er atmete tief durch, näherte sich so lautlos wie möglich der Verandatür, öffnete sie und trat ins »Freie«. Für einen Moment bewunderte er das Bild einer untergehenden Sonne, das wahrscheinlich seit Jahrzehnten am künstlichen Horizont festgefroren war.
    In einem der beiden Liegestühle saß der Kitar und starrte ihm entgegen.
    Er war in einem schrecklichen Zustand. Schwärender Wundschorf überzog große Teile seines Leibes. In Körperfalten verborgene Maden zeigten sich neugierig, bevor sie sich wieder an die Arbeit machten und sich tiefer in den lebenden Leichnam fraßen. Eine einzige Bewegung, so erschien es Turil, würde den Kitar in unzählige Teile zerfallen lassen. Wenn dieses Geschöpf noch irgendetwas zusammenhielt, dann war es wohl seine Willenskraft.
    Er trat näher. So nahe, dass er sein Gegenüber berühren konnte. Mit den Fingerspitzen tastete er über dessen Schultern, den Brustbereich, den Kopf. Alles war knorpelig, verzerrt, verwachsen. Das Gesicht ähnelte dem eines Humanes, doch es war zu einer dämonenhaften Fratze verzerrt. In ihr spiegelte sich wider, was alle Wesen des Kahlsacks fürchteten: eine Mischung aus Gleichmut und Wahnsinn. Der Kitar vermittelte das Gefühl, buchstäblich alles tun zu können, ohne über die Konsequenzen auch nur einen Augenblick lang nachzudenken.
    Die Haut fühlte sich warm an; breite Lappen, die die Brust bedeckten, ließen sich mühelos beiseiteschieben. Turil hatte jegliche Scheu vor dem Kitar verloren, und auch die ungewöhnlich heftigen Zorngefühle, die ihn beim Anblick dieses grässlichen Wesens überfallen hatten, ließen nun nach. Der Kitar konnte ihm nicht mehr gefährlich werden.

    Er zog die größeren Körperparasiten aus tiefen Wunden und warf sie achtlos beiseite. Er tat es so lange, bis er dachte, auf das Stützgerüst des Kitar stoßen zu müssen. Doch da war eine weitere … Schwarte! Eine speckige,

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