Turm der Hexer
den Augen auf. »Es wäre nie so weit gekommen, Garion, nur keiner von uns dachte, daß du noch einmal zurückkommst.«
»Das bin ich ja auch nicht, Rundorig«, versicherte Garion seinem Freund schnell. »Wir sind nur auf Besuch hier und holen ein paar Sachen ab, die wir hiergelassen haben. Dann sind wir wieder weg.«
»Willst du auch Zubrette holen?« fragte Rundorig mit so trauriger Stimme, daß es Garion fast das Herz zerriß.
»Rundorig«, sagte er ganz ruhig, »ich habe kein Zuhause mehr. Eine Nacht schlafe ich in einem Palast, in der nächsten im Staub am Straßenrand. Keiner von uns würde doch ein solches Leben für Zubrette wünschen, oder?«
»Trotzdem glaube ich, daß sie mit dir gehen würde, wenn du sie darum bittest«, sagte Rundorig. »Sie würde alles ertragen, um mit dir zusammen zu sein.«
»Aber das lassen wir nicht zu, nicht wahr? So weit es uns betrifft, ist das Einverständnis zwischen euch offiziell.«
»Ich könnte sie nie anlügen, Garion«, wandte der große Junge ein.
»Aber ich«, sagte Garion unverblümt. »Vor allem, wenn es sie davor bewahrt, ein Leben als heimatloser Vagabund zu führen. Du mußt nur den Mund halten und mir das Reden überlassen.« Plötzlich grinste er. »Wie früher.«
Langsam stahl sich ein schüchternes Lächeln in Rundorigs Gesicht. Das Tor der Farm stand offen, und der gute, ehrliche Faldor begrüßte aufgeregt, strahlend und sich vor Freude die Hände reibend, Tante Pol, Durnik und Ce’Nedra. Der große, dünne Farmer wirkte so hager wie eh und je, nur sein langes Kinn schien in dem Jahr, seit sie fort waren, fast noch länger geworden, aber sein Herz hatte sich nicht verändert.
Prinzessin Ce’Nedra stand zurückhaltend am Rand der kleinen Gruppe, und Garion prüfte ihr Gesicht sorgfältig auf Alarmsignale hin. Wenn jemand den Plan vereiteln konnte, den er im Sinn hatte, dann höchstwahrscheinlich Ce’Nedra, aber so sehr er sich auch bemühte, er konnte aus ihrem Gesicht nichts lesen.
Dann kam Zubrette die Treppe von der Galerie herunter, die um den ganzen Innenhof verlief. Ihr Kleid war ländlich, aber ihr Haar war noch immer golden, und sie war schöner als je zuvor. Tausend Erinnerungen stürmten gleichzeitig auf Garion ein, zusammen mit dem Schmerz über das, was er tun mußte. Sie waren zusammen aufgewachsen, und zwischen ihnen bestand eine so tiefe Bindung, daß ein Außenstehender nie völlig verstehen würde, was sich in einem einzigen Blick zwischen ihnen abspielte. Und mit diesem Blick log Garion sie an. Zubrettes Augen waren voller Liebe, ihre sanften Lippen waren leicht geöffnet, wie um eine Frage, noch ehe sie ausgesprochen war, zu beantworten, die er wie sie glaubte sicher stellen würde. In Garions Augen war jedoch nur Freundschaft und Zuneigung zu lesen, keine Liebe. Ungläubig sah sie ihn an, dann errötetete sie langsam. Garion fühlte einen messerscharfen Schmerz, als er die Hoffnung in ihren blauen Augen ersterben sah. Schlimmer noch, er mußte seine gleichgültige Haltung beibehalten, während sie sich sorgsam jeden Zug seines Gesichts einprägte, um eine Erinnerung zu haben, die ihr Leben lang ausreichen mußte. Dann drehte sie sich um und ging, unter dem Vorwand, etwas erledigen zu müssen, davon. Garion wußte, daß sie ihn anschließend meiden würde und er sie zum letztenmal gesehen hatte.
Es war richtig gewesen, aber es hatte Garion fast das Herz gebrochen. Er tauschte einen raschen Blick mit Rundorig aus, der alles Nötige besagte dann beobachtete er traurig, wie das Mädchen davonging, von dem er immer geglaubt hatte, daß er es eines Tages heiraten würde. Als sie um die Ecke verschwunden war, seufzte er bitterlich, drehte sich um und fand sich Ce’Nedra gegenüber. Er konnte sehen, daß sie genau verstand, was er gerade getan und wieviel es ihn gekostet hatte. In ihrem Blick lag Mitgefühl und eine seltsame Frage.
Trotz Faldors Drängen wehrte Tante Pol sofort die Rolle des geehrten Gastes ab. Es war, als ob es in ihren Fingern kribbelte, all die vertrauten Dinge in der Küche noch einmal zu berühren. Kaum war sie eingetreten, hing schon ihr Mantel an einem Haken, wurde eine Schürze um ihre Taille gebunden, fingen ihre Hände an zu arbeiten. Fast anderthalb Minuten dauerte es, bis aus ihren höflichen Vorschlägen wieder Befehle geworden waren, und dann war alles wie früher.
Faldor und Durnik spazierten mit auf dem Rücken verschränkten Händen über den Hof, schauten in Vorratsschuppen und sprachen über das
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