Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Turm der Lügen

Turm der Lügen

Titel: Turm der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cristen
Vom Netzwerk:
Anspruch.
    Anfangs reagierte das Kind mit Durchfällen und Koliken auf die neue Nahrung. Loyse beschwerte sich mit wütenden Gesten über die Wäsche, aber der Erfolg machte ihnen Mut. Langsam glättete sich Blanches Gesicht, ihr Geschrei ließ nach, sie schlief länger.
    An Lichtmess traf eine Botschaft von Philippe ein.
    »Der König hat seine Brüder zu Pairs von Frankreich ernannt«, las Jeanne aufgeregt vor. »Welche Ehre. Welche Hoffnung. Damit sitzt Philippe im Parlament, dem obersten Gerichtshof des Königreiches.«
    Auch für Séverine enthielt der Brief Neuigkeiten.
    »Adriens Vater ist gestorben. Der Baron litt seit längerem unter Husten und hartnäckigem Fieber. Am Tag nach Dreikönig ist er im Beisein seines Sohnes in die Ewigkeit eingegangen.«
    Der Baron tot. Jeanne suchte Séverines Blick. Sicher fragte sie sich, was dieser Tod für Adrien bedeutete. Er war der neue Baron, der Lehnsherr. Nicht länger der Erbe, sondern der Seigneur. Wusste ihre Schwester, wie sehr der König in das persönliche Leben seiner Vasallen eingreifen konnte?
    Vorsichtig las sie weiter.
    »Etienne de Mornay, der bisher in den Diensten unseres Onkels Valois stand, ist der neue Kanzler des Reiches. Marigny ist entmachtet. Der König hat den größten Teil der Beamten unseres Vaters aus dem Rat verbannt. Männer seines Vertrauens besetzen jetzt die wichtigen Positionen.«
    Jeanne brach ab.
    »Seltsam. Mit seiner eigenen Meinung hält Philippe sich völlig zurück«, sagte sie schließlich.
    »Das ist verständlich«, erwiderte Séverine. »Er muss doch damit rechnen, dass ein solcher Brief abgefangen wird. Dass er vielleicht sogar in falsche Hände gerät. Schreibt er etwas über dein Schicksal?«
    Jeanne las die wenigen Zeilen, die noch folgten, und schüttelte den Kopf.
    »Nein. Ein paar freundliche Worte zu unserer Tochter, die er bald in die Arme schließen möchte. Dass Louis im Sommer in der Kathedrale von Reims offiziell zum König gesalbt werden soll, mit einer Andeutung, dass er sich eine neue Gemahlin suchen will. Kein Wort, was mit Marguerite geschieht, wenn Louis eine andere heiratet. Kein Wort zu meinem Schicksal und dem der armen Blanche. Nur die Versicherung seiner Liebe und seiner Gedanken, die mir gelten. Wir sind nicht länger wichtig für den König und den Hof.«
    * * *
    Die wenigen Schritte über die Brücke auf dem Weg hinüber zur Kapelle reichten aus, um Séverines Schuhe und Rocksäume zu durchnässen. Der eingetretene Pfad führte durch mittlerweile knietiefen Schnee. Der Winter hielt Dourdan fest in seinen Klauen.
    Im Gotteshaus war es eiskalt. Séverine zog das Umschlagtuch enger um den Körper, aber die Wolle wärmte auch in doppelter Lage an diesem Morgen nicht ausreichend. Im Weihwasserkessel schwammen kleine Eisstückchen. Sie bekreuzigte sich fröstelnd und nahm ihren Platz in der hintersten Reihe ein.
    Seit dem vergangenen Pfingstfest kümmerte sich um die Seelen der Burgbewohner Pater Philémon. Man hatte ihn aus der Pariser Abtei von Saint Victor nach Dourdan geschickt. Als Beichtvater sollte er Jeanne ausforschen. Bislang hatte er indes nur Unschuldsbeteuerungen erhalten. Die kleinen, lässlichen Sünden des Alltags lohnten es nicht, an höherer Stelle erwähnt zu werden. In seinen Augen war die Verbannte eine reine Seele, und eben dies gab er auch so weiter. Er hatte noch nie eine Antwort darauf erhalten.
    Séverine folgte der Morgenmesse, aber ihre Gedanken gingen eigene Wege. Im verbissenen Kampf um die Genesung von Mutter und Kind hatte sie Jeanne absichtlich nichts von den Schwierigkeiten des täglichen Einerleis berichtet. Sie würde die Wahrheit jedoch nicht länger verbergen können. Zu einschneidend waren mittlerweile die Maßnahmen, die der Burghauptmann veranlasst hatte.
    Sie betrachtete auf der anderen Seite des Ganges die Männer der Burg. Julien war da. Gott sei Dank. Die Reihen der Bogenschützen hatten sich merklich gelichtet. Einige von ihnen lagen mit Fieber darnieder. Allen sah man den Hunger an, denn zu allem Übel war ein Teil der Getreidevorräte auch noch vom Schimmel befallen und ungenießbar geworden.
    Hauptmann Montgeron hatte als Erstes eine eiserne Rationierung aller Lebensmittel angeordnet. Schon jetzt war klar, dass die Fässer mit Stockfisch, die Wildschweinschinken und die eingelegten Früchte nicht bis zum Ende des strengen Winters reichen würden.
    »Ein jeder von uns muss sich einschränken«, hatte er Séverine seine Maßnahmen erklärt. »Es geht

Weitere Kostenlose Bücher