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Turm-Fraeulein

Titel: Turm-Fraeulein Kostenlos Bücher Online Lesen
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herein«, sagte Grundy. »Sie ist eine böse Kreatur!«
    »Rapunzel!« rief die Vettel wieder.
    »Ich kann einfach nicht glauben, was du über die Süße Mutter gesagt hast!« sagte Rapunzel und schritt zum Fenster.
    Grundy begriff, daß seine Glaubwürdigkeit in ihren Augen um so geringer wurde, je mehr er versuchte, die Bösartigkeit der Vettel zu betonen. Es würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als sich der Vettel selbst zu stellen. Zwar graute ihm bei diesem Gedanken, doch er hatte keine andere Wahl. »Dann laß sie hinaufkommen«, sagte er resigniert.
    Rapunzel war bereits damit beschäftigt, die Kämme aus ihrem Haar zu entfernen und es den Turm herabzulassen. Dann stemmte sie sich fest gegen den Boden, während die Hexe unten das Haar ergriff.
    Grundy sah mit an, wie sich das Haar straffte und wie es an ihr riß. Doch schien das dem Mädchen nichts auszumachen; sie bewegte den Kopf nur ein kleines Stück, als das volle Gewicht der Kletternden daran ruckte. Er erkannte, daß dies Teil ihrer Magie war; nicht nur, daß das viele Haar auf Rapunzels Kopf so gut wie kein Gewicht zu haben schien, es neutralisierte zudem das Gewicht von allem, was es berührte, zumindest was Rapunzel anging. Tatsächlich schien sie ein Wesen mit zwei magischen Talenten zu sein – doch er wußte, daß die ererbte Magie nicht zählte, so daß ihre Größenverwandlungen nicht als Talent galten. Die Gesetze der Magie waren zwar manchmal sehr verworren, alles in allem aber meistens recht konsequent.
    Was sollte er der gefürchteten Seevettel sagen? Er war ja schon entsetzt, wenn er nur an die Konfrontation dachte! Sie besitzt keine andere Magie! erinnerte er sich selbst verzweifelt. Alles, was sie kann, besteht darin, sich selbst umzubringen und den Körper von jedem zu übernehmen, der das zuläßt. Davor brauche ich mich doch nicht zu fürchten! Und doch fürchtete er sich. Er wünschte, er hätte diese Begegnung vermeiden können. Wenn er doch nur schon gegangen wäre, bevor die Vettel zurückgekommen war!
    Allzu bald erreichte die Vettel das Fenster und kletterte hinein. Sie war tatsächlich eine sehr häßliche Kreatur. Sie trug einen schwarzen Umhang und eine schwarze Mütze mit einer gefährlich aussehenden Hutnadel, außerdem schwarze Stiefel mit hohen Absätzen und schwarze Handschuhe; selbst wenn sie schön gewesen wäre, hätte diese Kleidung ihr einen finsteren Ausdruck verliehen. Ihre Gesichtszüge waren nicht wirklich verunstaltet; auf einem Bild hätte sie wohl, wenn man ihr augenblickliches Alter bedachte, ganz normal ausgesehen. Doch was sie umgab, war der düstere Glanz des Bösen. In ihrem Gesicht mischten sich Züge von Grausamkeit mit Neugier und Tratschsucht. Ihre Augen schienen sich auf alles zu richten, was um sie herum am häßlichsten war. Grundy haßte sie auf den ersten Blick, aber er hatte zugleich auch schreckliche Angst vor ihr.
    »Süße Mutter!« rief Rapunzel und umarmte die Vettel. Diese Geste des Wiedersehens widerte Grundy an, doch wagte er nicht, dagegen einzuschreiten.
    Mit schniefender Nase blickte die alte Frau wütend um sich. »Ich rieche Eindringlinge!« fauchte sie. Dann heftete sich ihr übelwollender Blick auf Grundy.
    »Ich… ich habe einen Besucher…« erklärte Rapunzel matt.
    »Das ist kein Besucher – das ist ein erbärmlicher Golem!« zischte die Vettel.
    »Du bist auch nicht gerade eine Schönheit, Gurkennase!« konterte Grundy, bevor ihm klar war, was er da eigentlich gerade tat.
    »Ich werde ihn beseitigen!« rief die Vettel. Sie schritt zu einem Schrank und holte einen Besen hervor.
    »Was willst du denn damit, vielleicht darauf reiten, olle Hexe?« fragte Grundy höhnisch.
    »Damit werde ich dich kurzerhand aus diesem Turm fegen!« schrie sie und kam mit dem Besen auf ihn zu.
    »Oh!« rief Rapunzel entsetzt über diese Gewalttätigkeit.
    Plötzlich begriff Grundy, daß dies möglicherweise die einzige Möglichkeit war, um die Damsell von der Wahrheit über die Vettel zu überzeugen. Sollte die böse Hexe doch ihr wahres Wesen offenbaren! »Du kannst dir doch noch nicht einmal den Staub aus den eigenen Löffeln fegen, alter Schnüffelzinken!« reizte er sie und entwischte leichtfüßig zur Seite, als der tödliche Besen auf ihn zukam.
    »Bleib stehen, du Schlammschnauze, dann klopfe ich dich platt!« grunzte die Hexe und drosch mit dem Besen nach ihm.
    Doch Grundy hatte jahrzehntelange Erfahrung damit, solchen Attacken auszuweichen, und es gelang ihm auch diesmal. Doch er

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