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Turm-Fraeulein

Titel: Turm-Fraeulein Kostenlos Bücher Online Lesen
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ein Anzeichen von Leben zu erkennen? Snorty atmete weder wie andere Wesen, noch fraß er wie diese, und doch bestanden seine großen Hände ebenso aus Haut und Haaren. Grundy berührte eine Hand, sie fühlte sich warm an. Das bestätigte ihm, daß das Ungeheuer noch am Leben war. »Snorty?« fragte er, doch er erhielt keine Antwort. Er lief zum Höhleneingang hinüber. Draußen wurden die Schatten immer länger, wodurch sich die goldene Tönung der Landschaft noch verstärkte. Die Dämmerung nahte – und das bedeutete noch mehr Nickelfüßler. Wenn Snorty nicht bald wieder erwachte…
    Er wandte sich um. Rapunzel saß auf der Bettkante und ließ ihre hübschen Beine herabbaumeln. »Was sollen wir tun?« fragte sie.
    Herabbaumelnde Beine. Grundy fiel etwas ein. »Nimm Menschengröße an«, sagte er zu ihr. Sie wollte sich auf das Bett stellen.
    »Nein, im Sitzen«, widersprach er. »Verändere einfach deine Größe – in der Haltung, die du gerade einnimmst.«
    Verwundert setzte sie sich wieder hin und tat, wie ihr geheißen. Nun reichten ihre Beine bis zum Boden.
    Eine von Snortys großen haarigen Händen begann zu zittern. Bettungeheuer existierten nur zu dem einzigen Zweck, nach den Waden der Kindern zu grabschen, die auf ihren Betten sitzen. Rapunzel war manchmal geradezu kindlich in ihrer Unschuld, und sie besaß Waden, nach denen jedes Wesen gerne gegrabscht hätte. Ob das genügen würde, um das Ungeheuer zu erwecken?
    »Stoß einen kleinen Schrei aus«, bat Grundy sie.
    »Was?«
    »Als hättest du Angst, daß jemand nach deiner Wade greifen könnte.«
    Sie warf einen Blick hinunter. »Iiih«, sagte sie und begann ihre Beine wegzuziehen.
    Das war es: Plötzlich geriet eine von Snortys Händen in Bewegung und grabschte nach ihrer Wade.
    »Iiih!« schrie Rapunzel erneut und riß die Beine hoch.
    Snorty kicherte.
    »Er ist wieder da!« rief Grundy.
    Sie klatschte in die Hände. »Ach, wie klug von dir, darauf zu kommen!«
    »Du hattest einfach die richtigen Waden, um ihn zum Leben zu erwecken«, meinte Grundy. »Jedes Wesen, das denen widerstehen kann, muß schon tot sein.«
    »Aber du hast doch nie nach ihnen gegrabscht«, wandte sie ein.
    »Ich bin ja auch kein Bettungeheuer.« Grundy wollte nur ungern zugeben, wie sehr er sich doch gewünscht hätte, nach ihren Waden grabschen zu können, wenn es nur einen halbwegs anständigen Vorwand dafür gegeben hätte.
    Er machte kehrt und ging zurück zum Höhleneingang. Sein Blick schweifte hinüber zum Elfenbeinturm, der sich nun wie ein dunkler Schatten am matten Horizont abzeichnete.
    Dann hörte er etwas. Ein schwacher Schrei, gefolgt von einem Plantschen.
    Die Möven, die bisher in der Gegend umhergeflogen waren, schossen auf den Turm zu und umkreisten ihn.
    Dann erlosch der Leuchtturmstrahl.
    »Etwas Seltsames ist geschehen«, sagte Grundy, als er zum Bett zurückkehrte.
    »Ich… ich habe es gespürt«, sagte Rapunzel und legte eine zarte Hand auf ihr Herz. »Etwas Schreckliches.«
    »Da war ein Schrei und ein Krachen im Wasser, direkt am Elfenbeinturm, und dann erlosch plötzlich der Lichtstrahl.«
    »Oh, nein!« schrie sie entsetzt.
    »Was bedeutet das?«
    »Die Süße Mutter ist gestorben!«
    »Sie… woher willst du das wissen?«
    »Ich habe es gefühlt, gerade eben, aber ich wußte nicht genau, was es war. Doch ich weiß, daß eine lebendige Person im Turm sein muß, sonst geht das Licht aus…«
    »Sie muß gesprungen sein!« rief Grundy, und sein Entsetzen war nicht geringer als ihres. »Sie ist nicht einfach an dem Haar heruntergeklettert!«
    »Das hätte sowieso keinen Zweck gehabt, nachdem wir das Boot weggenommen haben«, sagte sie. »Sie kann nicht schwimmen.«
    »Aber die Ebbe… wenn die einsetzt, kann man doch nach drüben aufs Land zu Fuß gehen. Wußte sie das etwa nicht?«
    »Natürlich wußte sie das!«
    »Warum hat sie dann nicht auf die Ebbe gewartet?«
    »Sie muß… sie muß den Tod gesucht haben«, sagte Rapunzel niedergeschmettert. »Ach, das ist alles meine Schuld!«
    »Aber sie stirbt doch gar nicht wirklich«, erinnerte Grundy sie. »Sie wechselt einfach nur den Körper.«
    »Ja.« Dann verzerrte sich das wunderschöne Gesicht der Damsell in neuem Entsetzen. »Dann ist sie ja jetzt bereit, einen neuen Körper zu übernehmen!«
    Und der Körper, den die Vettel wollte, war der Rapunzels!
    Nun leuchtete ihr Verhalten auch ein. Warum sollte sie erst auf die Ebbe warten, während Grundy und die Damsell sich in den Urwald verzogen, wo die

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