Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Turner 02 - Dunkle Vergeltung

Turner 02 - Dunkle Vergeltung

Titel: Turner 02 - Dunkle Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
T-Shirt, Cowboystiefel aus Kunststoff. Das Blut spritzte nicht in Stößen aus seinem Oberschenkel, als ich ihn umdrehte, sondern sickerte einfach heraus.
    Nathan schüttelte den Kopf.
    Die Hunde in dieser Gegend sind keine Schoßhündchen, sondern nützliche Arbeitstiere, die gezüchtet werden, damit sie bei der Nahrungsbeschaffung und dem Schutz des Territoriums helfen. Nathans Hund war sofort auf den jungen Mann losgegangen, hatte ihm einen
apfelgroßen Batzen aus dem Oberschenkel gerissen und allem Anschein nach auch noch ein kleines Stück aus der Oberschenkelschlagader.
    »Verfluchter junger Dummkopf«, schimpfte Nathan. »Ich schätze, wir sollten wohl jemanden rufen.«
    »Kein Grund zur Eile.« Ich nahm meine Finger von der Halsschlagader des jungen Mannes. Dabei fiel Licht auf seinen Unterarm. Ich schob den Ärmel zurück. »Was könnte das deiner Meinung nach sein?«
    Nathan beugte sich über mich.
    »Zahlen.«

Kapitel Achtzehn
    Ich erinnere mich noch aus meiner Kindheit an sie. Damals war ich sechs. Sie waren einfach überall. Sie bedeckten die Bäume, krochen draußen an den Hauswänden herum und am Grillplatz entlang, kletterten Telefon-und Strommasten hinauf und bahnten sich ihren Weg durch den Maschendraht rund um die Hundezwinger. Dort durchbrachen sie dann die Rückseite ihrer Larvenhülle, schlüpften und entfalteten ihre Flügel. Am Abend zuvor waren sie noch nicht da gewesen, und dann gab es urplötzlich Tausende von ihnen: schwarze Körper, so groß wie eine Garnele, zweieinhalb Zentimeter vielleicht, transparente Flügel, rote Augen. Die Männchen erzeugten Geräusche, indem sie sich gegen den hohlen Hinterleib trommelten. Mit zunehmender Sonnenwärme wurde ihr Gesang lauter und schneller. Hunde, die wilde Katze, die unter der Werkstatt lebte, Hühner, Drosseln und Blauhäher fraßen sich satt. Und mancherorts auch die Menschen, erzählte mir mein Dad.
    Die Leute in der Gegend nannten sie immer noch Heuschrecken. Mein Freund Billy und ich sammelten ihre Larvenhüllen von Bäumen und vor dem Haus und reihten sie in hübschen Linien an unseren Schlafzimmerwänden auf. Später hörte ich ihren richtigen Namen: Zikaden. Ich lernte, dass sie in Zyklen von dreizehn oder
siebzehn Jahren auftreten, im Mai aus ihren unterirdischen Verstecken krabbeln und im Juni alle wieder tot sind. Das Männchen stirbt kurz nach der Befruchtung, wohingegen das Weibchen sich einen Baum sucht, bis zu fünfzig Schlitze in einen der Äste ritzt und dort vierhundert bis sechshundert Eier ablegt. Sowie der Eiervorrat verbraucht ist, stirbt auch das Weibchen. Sechs bis acht Wochen später schlüpfen die Larven und fallen zu Boden, buddeln sich dreißig Zentimeter tief ein und ernähren sich vom Saft der Baumwurzeln, bis es für sie an der Zeit ist, wieder aufzutauchen, an die Erdoberfläche zu kriechen, die Larvenhülle abzustoßen und die Flügel zu entfalten.
    Das meiste davon lernte ich mehr als vierzig Jahre später.
    »Kein Titel - sondern mein Name«, erklärte mir Bishop Holden bei unserem ersten Treffen. Er und ich waren im selben Alter. Mit Zikaden kam ich nach meiner Kindheit erst wieder in Kontakt, als ich auf der anderen Seite der Welt im Dschungel war - und Bishop zu Hause in der Schlange zur Musterung, wo man ihm sagte, er solle den Kopf drehen und husten, woraufhin er stattdessen mit beiden Händen den Kopf des Arztes ergriff und ihm einen festen, feuchten Schmatzer auf die Lippen drückte. Man trug ihn fort, wobei er eine zusammenhanglose Volksrede über Verschwörungen und von der Regierung finanzierte Staatsstreiche hielt, und lieferte ihn aus der Untersuchungshaft direkt in die örtliche Psychiatrie ein. Den größten Teil seines Lebens verbrachte
er dann in der einen oder anderen Anstalt. In der letzten hatte er während eines Krampfs, der durch ein unverträgliches Medikament ausgelöst worden war, einer Krankenschwester den Finger abgebissen, die ihm hatte helfen wollen, und war seitdem irgendwie auf den Geschmack gekommen. Er erbeutete einen weiteren Finger, ein halbes Ohr und einen großen Zeh, bevor er sich (wie er selbst sagte) auf strenge Diät setzte.
    Seine Haut erinnerte an eine geschrubbte rote Kartoffel, er hatte sackartige, ledrige Wangen. In Khakis, Strickjacke und Leinenschuhen erinnerte er mich an Mr. Rogers aus der Fernseh-Kinderserie Mr. Rogers Neighborhood .
    »Sind Sie bereit?«, fragte er. Unsere Stühle standen im rechten Winkel zueinander, mit einem kleinen Schellack-Tisch an der

Weitere Kostenlose Bücher