TURT/LE: Gefährlicher Einsatz (German Edition)
herausfinden, wo Hamid abgeblieben war. Hatte er sie hier zurückgelassen, um sie loszuwerden? Für einen winzigen Augenblick durchzuckte sie ein schmerzhafter Stich, bevor sie sich wieder unter Kontrolle hatte. Was war nur mit ihr los? Es wäre gut, wenn Hamid sie freigelassen hätte und seiner Wege gegangen wäre. Allerdings war es mehr als unwahrscheinlich, dass er tatsächlich fort war. Vermutlich hielt er sich ganz in der Nähe auf und konnte jederzeit zurückkehren. Wenn das geschah, musste sie vorbereitet sein.
Fast als Antwort auf ihren letzten Gedanken hörte sie ein leises Knacken im Gestrüpp. Etwas – oder jemand – bewegte sich direkt auf sie zu. Rasch tastete Kyla den Boden in ihrer Nähe nach etwas ab, mit dem sie sich zur Wehr setzen konnte. Außer ein paar größeren Steinen fand sie nichts, das nicht mit dem Boden verwachsen war. Mit Mühe stemmte sie einen der Steine in die Höhe, verkroch sich tiefer im Buschwerk und wartete darauf, wer auftauchte. Sie gestattete sich ein kleines Aufatmen, als Hamids schlanke Gestalt sichtbar wurde. Das Tuch hatte er wieder über Mund und Nase gelegt, sodass nur seine Augen zu sehen waren. Wie sie ihn trotzdem erkannte, war ihr ein Rätsel, über das sie im Moment nicht nachdenken wollte. Denn auch wenn sie insgeheim froh war, ihn wiederzusehen, durfte sie ihr Ziel, ihm zu entkommen, nicht aus den Augen verlieren.
Sein Blick traf ihren, und sie hatte das Gefühl, als fände eine unausgesprochene Kommunikation zwischen ihren Körpern statt. Eisern kämpfte sie dagegen an, versuchte, das seltsame Gefühl der Nähe zu verdrängen. Kyla erhob sich, den Stein in ihren Händen. Seine Augen verengten sich, als er ihre steife Haltung und die Behelfswaffe bemerkte. Automatisch ging sein Griff zur Pistole, doch dann entspannte er sich wieder und hielt die Hände gut sichtbar an seinen Seiten.
»Mach es. Dann bist du frei.«
Seine inzwischen so vertraute Stimme sandte einen Schauder durch ihren Körper. Er war der Feind, daran musste sie denken! Sie straffte die Schultern und hob die Hand mit dem Stein. Sie musste es tun, wenn sie frei sein wollte, es gab keine andere Möglichkeit. Und er wusste es, wie seine Worte belegten. In seinen Augen und seiner Haltung war keinerlei Furcht zu entdecken. Wachsamkeit und Akzeptanz ihrer Situation, aber keine Angst. Selbst Wut oder Verärgerung schien er nicht zu verspüren. Aber was dann? Fand er die Bedrohung durch einen Stein so lächerlich?
Vermutlich sollte dieser Gedanke sie wütend machen, aber alles was sie fühlte, war totale Erschöpfung. Ihre Armmuskeln begannen zu zittern, kurz darauf ihr gesamter Körper. Sie schwankte, hielt aber ihren Blick weiterhin fest auf Hamid gerichtet. Sie musste ihn niederschlagen und fliehen, es war ihre einzige Chance. Wenn es nur um sie gegangen wäre, hätte sie sich lieber wieder hingesetzt und aufgegeben, aber es stand viel mehr auf dem Spiel. Zu viel. Das Leben unzähliger Unschuldiger wäre verwirkt, wenn es ihr nicht gelang, zu entkommen und die Informationen an das Oberkommando weiterzugeben.
Kyla spannte ihre Muskeln an. Einzig ihre Entschlossenheit hielt sie noch aufrecht. Hamid beobachtete sie ruhig und machte keine Anstalten, sie abzuwehren. Was hatte er vor? Wollte er vielleicht, dass sie ihn überwältigte und floh? Nein, dann hätte er sie einfach so gehen lassen können, ohne eine Verletzung zu riskieren. Schweiß tropfte in ihre Augen und ließ die Burka unangenehm an ihrem Körper kleben. Langsam bewegte sie sich auf Hamid zu, jederzeit darauf gefasst, dass er sie angriff. Doch er stand einfach nur da, die Arme locker an den Seiten, die Handflächen offen und unbedrohlich. Noch ein Schritt, erneut wich er nicht zurück. Ohne Vorwarnung sprang sie schließlich vorwärts … und verlor das Gleichgewicht, als Hamid im letzten Moment zur Seite trat. Mit einem unterdrückten Schrei stürzte sie zu Boden. Benommen blieb sie kurz liegen, bevor es ihr gelang, den Kopf zu heben. In schwarzen Stoff gehüllte Beine ragten vor ihr auf. Gleich würde er sie niederschlagen, so wie sie es mit ihm geplant hatte. Kyla zuckte zurück, als Hamid sich neben sie hockte.
»Ganz ruhig.« Seine Hand strich über ihre Schulter. »Hast du dich verletzt?«
Ungläubig starrte Kyla ihn an. Er tat einfach so, als wäre überhaupt nichts passiert, als hätte sie nicht versucht, ihn auszuschalten. Warum umsorgte er sie, wenn es doch offensichtlich war, dass sie auf verschiedenen Seiten standen?
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