Twin Souls - Die Verbotene: Band 1
Sekunde – spürte ich einen Riss in der Mauer zwischen Addie und mir. Dann verschwand er wieder. Aber so kurz der Moment der Schwäche auch gewesen war, er reichte, um ein Raunen von Addies Gefühlen aufzufangen.
Einen Anflug von Furcht.
»Ja«, sagte Addie. »Ich komme.«
Der Gemeinschaftsraum war von stillem Chaos erfüllt. Einige Kinder schliefen noch halb, sie hingen in den Holzstühlen, die Köpfe ruhten auf den Tischplatten. Eli hatte sich in einer Ecke zusammengekauert, er machte den Rücken so rund, dass seine Knie praktisch das Gesicht vor Blicken abschirmten. Ein paar der Älteren unterhielten sich leise in der Nähe der Tür am anderen Ende des Zimmers.
Hally kam gerade aus einer Nische hervor. Sie hielt ihre Brille in der einen Hand und rieb sich mit der anderen über die Augen. Ihr Mund war zu einem gähnenden O verzogen. Kurz darauf entdeckten wir Ryan. Er warf einen raschen Blick durch das Zimmer, der mit unserem verschmolz, bis Addie sich abwandte. Aber einen Moment später war er an unserer Seite.
»Geht’s dir gut?« Er vergrub seine Stimme unter der Geräuschkulisse aus schläfrigem Gemurmel.
»Bestens«, sagte Addie.
Er zögerte.
»Ihr geht es auch gut«, sagte Addie und stieß sich von der Wand ab, um auf eine Zimmerecke zuzugehen. Sie war gerade an der Krankenschwester vorbeigekommen, als die Frau in die Hände klatschte.
»Hört mal her«, sagte sie. »Eli? Shelley? Ich habe eure Medikamente, wenn ihr bitte herkommen würdet.«
Das Klatschen hatte Addie veranlasst, stehen zu bleiben. Als sie weiterging, musste die Bewegung der Krankenschwester ins Auge gefallen sein, denn sie senkte den Blick, runzelte einen Moment die Stirn und lächelte dann wieder. »Das hätte ich fast vergessen, Addie. Vorhin ist jemand vorbeigekommen, um mir zu sagen, dass deine Eltern am Telefon seien.«
Unsere Eltern. Inzwischen mussten sie ihnen die Testergebnisse mitgeteilt haben. Jeder weitere Gedanke löste sich in Luft auf. Unsere Eltern waren am Telefon, und das war alles, was zählte.
»Kann ich sie sprechen?«, fragte Addie. Unsere Stimme klang kräftiger, als ich erwartet hatte. »Bitte? Ich muss …«
»Einen Augenblick, Addie.« Die Krankenschwester hob die Hand und wandte sich einem kleinen Mädchen zu, das soeben vor sie getreten war. »Hier, Shelly … wo ist dein Becher? Du brauchst etwas Wasser, erinnerst du dich, Liebes?«
Das Mädchen ging wieder davon, und Addie versuchte, die Aufmerksamkeit der Schwester zurückzuerlangen. »Bitte, darf ich jetzt mit ihnen reden?«
Die Frau zögerte. Sie sah sich im Zimmer um, dann blickte sie auf das Fläschchen mit Pillen in ihrer Hand. »Na gut. Ich werde jemanden suchen, der dich zu einem Telefon bringt.«
»Danke sehr«, flüsterte Addie.
Ryan hob den Kopf, als wir an ihm vorbeikamen, aber er sagte nichts.
Es war noch früh und der Flur relativ leer – nur ein Paketbote und ein paar Ärzte beugten sich über ein Klemmbrett und sprachen leise miteinander. Aber es dauerte nicht lange und eine weitere Frau in der grauweißen Uniform der Krankenschwestern tauchte auf und diejenige an unserer Seite gab ihr ein Zeichen.
»Addie hier braucht ein Telefon«, sagte sie. »Ich bringe die anderen Kinder jetzt zum Frühstück. Würdest du sie in ein Büro begleiten? Es ist Leitung vier.«
»Natürlich.« Die andere Krankenschwester lächelte uns an. »Hier entlang.«
Wir waren nicht länger als ein paar Minuten gelaufen, als sie uns in ein kleines Büro führte. Ein Schreibtisch, auf dem Papiere und Aktenmappen verstreute lagen, nahm den Größteil des Raumes ein. Die Schwester deutete auf den Drehstuhl, der hinter dem Schreibtisch stand. »Du kannst dich dort hinsetzen.«
Addie folgte ihrem Vorschlag und sah zu, wie sie den Hörer von der Gabel nahm und auf eine der orange glühenden Tasten drückte.
»Hallo?«, sagte sie. Und nach einer kurzen Pause: »Ihre Tochter, Sir? Wie ist ihr Name?« Eine weitere Pause folgte. »Schön. Ja, sie ist hier bei mir. Einen Moment bitte.«
Sie legte den Hörer in unsere ausgestreckte Hand. Addie presste ihn ans Ohr. »Hallo?«
»Hallo du«, sagte Dad. Jedes Wort triefte vor aufgesetzter Fröhlichkeit. »Wie geht es dir?«
»Okay«, sagte Addie. Sie wickelte die Telefonschnur um unser Handgelenk, schluckte und drehte sich von der Krankenschwester weg, die neben dem Schreibtisch herumstand. »Ich vermisse dich. Und Mom. Und …«
Und Lyle, aber unsere Stimme brach, bevor wir es aussprechen konnten.
Da war ein
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