Twin Souls - Die Verbotene: Band 1
an.
»Erzähl mir von zu Hause«, sagte Addie.
»Zu Hause?«
Addie nickte. »Zu Hause. Deiner Familie. Erzähl mir von deinen Brüdern.«
»Ich habe drei«, sagte Kitty. »Und eine Schwester. Aber Ty ist der Netteste. Er kümmert sich um uns, seit Mom … Er ist einundzwanzig.«
»Oh?«, sagte Addie erstaunt. Behutsam streckte sie die Hand aus und fuhr mit den Fingern durch die langen Haare des Mädchens. Sie waren wirr, und wir hatten keine Bürste, daher begann sie, die kleinen Knoten mit der Hand zu lösen. Kitty versteifte sich kurz, dann entspannte sie sich wieder.
»Er spielt Gitarre und er ist echt gut.«
Addie hörte nicht auf, Kittys Haare zu entknoten.
»Er hat gesagt, er würde es mir auch beibringen«, sagte Kitty. »Aber das … aber jetzt steckt er in Schwierigkeiten. Weil er versucht hat, sie daran zu hindern, mich mitzunehmen …«
Unsere Finger hielten inne.
»Lass uns über deine Schwester reden«, schlug Addie vor. »Wie alt ist sie?«
»Siebzehn – oh, ich glaube, inzwischen ist sie schon achtzehn.«
»Ich habe einen kleinen Bruder«, sagte Addie rasch und ignorierte, wie der Schmerz daraufhin in unserer Brust anschwoll. »Sein Name ist Lyle. Er ist zehn.«
Kitty nickte, aber ich spürte, dass unsere Unterhaltung sich dem Ende zuneigte, so sicher wie am Ende eines Stückes der Vorhang fällt. Addie strich eine Haarsträhne aus dem Gesicht des kleinen Mädchens.
»Denkst du, du kannst jetzt einschlafen?«, fragte sie. Kitty nickte, ohne uns anzusehen. Aber sie rührte sich nicht vom Fleck. »Du kannst hierbleiben, wenn du möchtest«, sagte Addie. Die Luft war kalt und Kittys Nachthemd sah dünn aus. »Ich kann rüber in dein Bett gehen.«
Ein weiteres schwaches Nicken.
»Gute Nacht, Kitty«, sagte Addie.
Sie rutschte vom Bett, hatte aber noch keinen Schritt getan, als eine Hand hervorschoss und unser Handgelenk packte.
»Ja, Kit…«
Sie zog uns zu sich heran, ihre Lippen waren so dicht an unserem Ohr, dass wir das Wort mehr spürten als hörten.
Nina.
Und dann ruhten ihre riesengroßen Augen hellwach und aufmerksam auf uns.
Abwartend.
»Gute Nacht, Nina«, flüsterte Addie.
Die kleine Hand an unserem Handgelenk drückte zu, die Nägel gruben sich in Räume zwischen unseren Knochen. Wir hörten einen Seufzer, wie das Loslassen eines Traumes. Dann war die Hand fort. Nina drehte sich um und schlüpfte ohne ein weiteres Wort unter die Bettdecke.
Stunden später waren wir immer noch wach. Eine Schwester hatte gerade ihre Runde gedreht, unsere Tür geöffnet und einen raschen Blick auf die Betten geworfen, dann war sie wieder zurück in den Flur getreten.
Wir konnten Nina leise atmen hören, ihre dunklen Haare ergossen sich wie ein Wasserfall auf ihr – unser – Kissen. Falls der Schwester der Bettentausch aufgefallen war, hatte sie nicht versucht, etwas dagegen zu unternehmen. Vielleicht würde uns am Morgen jemand ermahnen. Oder vielleicht war die Entscheidung, wer in welchem Bett schlief, ja auch ein Fitzelchen Kontrolle, das uns überlassen blieb.
Unser Schädel brummte vom Schlafmangel. Seit wir von zu Hause fortgegangen waren, hatten wir keine Nacht mehr als vier Stunden geschlafen. Ich hatte seit letzter Nacht nicht gesprochen. Die Mauer zwischen Addie und mir war gewaltig, nahtlos und undurchdringlich.
Ich sagte mir, dass ich immer noch wütend auf sie sei. Wütend über das, was sie gesagt hatte. Wütend über das, was sie angedeutet hatte. Aber unsere Eltern würden nicht kommen. Unser Vater würde uns nicht in seinen Armen davontragen, wie er es getan hatte, als wir noch klein gewesen waren. Wir waren allein. Wir hatten niemand sonst.
Wir sollten einander haben.
Doch da waren die Mauer und das Schweigen und die Wut, die dem im Weg standen. Da waren Addie und ich, die nicht miteinander sprachen. Ich konnte abwarten, bis sie den ersten Schritt machte, wie ich es all die Jahre getan hatte.
Aber ich war die Einsamkeit so leid.
‹Addie.›
Sie zuckte zusammen. Einen Augenblick lang war ich außer mir vor Angst, dass sie mich ignorieren würde. Ich hatte sie noch nie ignoriert, wenn sie nach einem Streit die Hand nach mir ausgestreckt hatte.
‹Addie, ich …›
‹Es tut mir leid›, sagte sie. Ihre Worte waren wie das Streicheln zerfledderter Schmetterlingsflügel.
‹Was?›, sagte ich.
‹Das alles. Dass … dass alles so gekommen ist.›
Ich verstummte. Ich wusste, sie meinte damit nicht die Nornand Klinik, sie sprach nicht von den Ärzten und
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