Twist again: Die Spellmans schlagen zurück (Familie Spellman ermittelt) (German Edition)
sagte ich. Morty war exakt 84 Jahre alt.
»Ich fahre seit 72 Jahren, und in dieser Zeit habe ich keinen einzigen Unfall gebaut. Von dem einen Mal abgesehen, als ich Ende der achtziger Jahre bei Sturm gegen eine Ampel gefahren bin, da war das Auto schrottreif. Sonst habe ich höchstens ein paar Blechschäden verursacht.«
»Und wie erklärst du dir die vielen Kratzer und Dellen, die in letzter Zeit deinen Caddy verunzieren?«
»Warum kümmerst du dich nicht zur Abwechslung mal um deinen eigenen Kram? Ich erkläre diese Unterhaltung für beendet.«
Er legte auf, bevor ich reagieren konnte. Fünf Minuten später rief er wieder an.
»Wo essen wir heute zu Mittag?«
»Du willst trotzdem mit mir essen gehen?«
»Ich muss ja was essen.«
Morty hatte Mittel und Wege gefunden, Moishe’s Pippic 32 zu erreichen. Mein Vertrauensbruch diente ihm als Rechtfertigung, das Restaurant diese Woche selbst aussuchen zu dürfen. Als ich kam, saßen er und sein knackiger Enkel bereits an einem Tisch im hinteren Bereich.
»Du bist spät dran«, knurrte Morty, ohne den Blick von der Speisekarte zu nehmen. Dazu muss man wissen, dass er diese Speisekarte in- und auswendig kennt.
Ich sah auf meine Armbanduhr. »Nur fünf Minuten.«
»Pünktlichkeit ist ein Zeichen von Respekt.«
Ich setzte mich beiden Männern gegenüber und wartete darauf, dass Morty sich abregte.
»Eine offizielle Vorstellung ist vermutlich nicht nötig, ihr kennt euch ja schon, aber ich für meinen Teil lege Wert auf Manieren: Isabel, auch die Petze genannt, darf ich dir meinen Enkelsohn vorstellen, Gabe den Autodieb?« Dann wandte er sich Gabe zu und empfahl ihm liebevoll die »überirdisch gute Pastrami«.
»Warum bist du zu ihm so nett?«, wollte ich wissen. »Er hat doch dein Auto gestohlen.«
»Weil er zur Familie gehört. Bei Familienangehörigen rechnet man immer mit Enttäuschungen.«
Während Gabe zum Tresen ging, um unsere Bestellungen aufzugeben, starrte Morty wieder auf die Speisekarte und tat so, als sei ich Luft.
»Leg endlich die Speisekarte weg. Du hast schon bestellt.«
Morty knallte die Karte auf den Tisch. »Wie soll ich jetzt von A nach B kommen?«
»San Francisco bietet ein phantastisches Nahverkehrsnetz.«
»Soll ich etwa den Bus nehmen?«, brüllte er. »Ich bin ein uralter Mann – bis ich die Haltestelle erreicht habe, bin ich vielleicht tot.«
»Wenn du weiter Auto fährst, bist du sicher ...« Ich konnte mich gerade noch bremsen. »Ruf an, Morty, wenn du einen Fahrer brauchst. Falls ich gerade Zeit habe, kutschier ich dich gern. Gabe fährt dich sicher auch. Außerdem kannst du dir jederzeit ein Taxi nehmen.«
Sein Zorn verrauchte allmählich. Zum Glück, denn ich wollte in Erfahrung bringen, ob seine Frau inzwischen an eine Rückkehr aus Florida dachte.
»Wann kommt Ruthy wieder nach Hause?«
»Das wissen nur Gott und Ruthy. Und sie sprechen beide nicht mit mir.«
»Hast du sie mal angerufen?«
»Natürlich habe ich sie angerufen! Was glaubst du denn? Sie weigert sich aber, mit mir zu sprechen. Sie meint, wenn ich reden will, soll ich ins Flugzeug steigen und es in Miami mit ihr tun.«
»Das wäre vielleicht das Beste.«
Aus dem Augenwinkel sah Morty Gabe mit unseren Getränken zurückkommen. Mein greiser Freund warf mir einen mahnenden Blick zu und wechselte das Thema.
»Spinnst du, Izzele? Was soll ich mit Bingo? Ich habe Wichtigeres zu tun«, sagte er lauter als nötig.
Während des Essens wurde mir klar, dass Gabe über den Verbleib seiner Großmutter auch nicht mehr wusste als ich. Morty stellte langsam die Verbalattacken ein. Nach dem Verzehr seines Pastrami-Sandwiches wirkte er relativ entspannt, und beim Abschied waren wir fast wieder Freunde. Ich erinnerte Morty daran, mich anzurufen, falls er einen Chauffeur brauchte.
RAES FEHDEMÜNZE
Donnerstag brach am späten Nachmittag ein Unwetter aus. Die Stadt ertrank in Regen, während Sturmböen die Bäume zum Ächzen brachten und Strommasten ummähten. Ein ideales Wetter, um es sich in der luxuriösen Behausung meines Bruders gemütlich zu machen und nach weiteren mörderischen Waffen oder Hinweisen auf seinen wahren Aufenthaltsort zu suchen. So hatte ich es zumindest geplant, als plötzlich meine Schwester vor der Tür stand. Rae hatte die zweieinhalb Kilometer von der Clay Street 1799 zu Davids Haus offenbar zu Fuß zurückgelegt. Ihre Haare waren triefnass, von ihrer gelben Regenjacke tropfte es nur so und ihre Turnschuhe machten ein schwappendes Geräusch,
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