Two Night Stand
sie hatte ja noch Sachen von Tim bei sich, die musste er auch noch wiederhaben.
Langsam, als sei sie eine alte Frau, stieg sie die Stufen zu ihrer Wohnung hinauf. Sie weinte nicht, sie war richtig stolz auf sich, vielleicht würde sie ja schneller über ihn hinwegkommen, als sie das jetzt dachte.
Doch diese Vermutung löste sich so schnell in Luft auf, wie sie gekommen war. Als sie die Wohnungstüre öffnete, fiel ihr Blick direkt auf die Jacke von Tim, die an einem Haken ihrer Garderobe hing.
Sofort schossen die Tränen in ihre Augen, sie schaffte es gerade, noch die Türe zu schließen, dann ließ sie sich daran hinuntergleiten und fing an, hemmungslos zu weinen.
„Hallo Tim, hast du die Zeitungen schon gelesen?“
Tim stöhnte auf, warum war er bloß ans Telefon gegangen? „Nein, Vater. Steht was über die Präsentation drin?“, er musste sich konzentrieren, denn er hatte schon etliche Whiskeys intus.
„Na, und ob!“, triumphierte sein Vater laut los. „In allen Sonntagszeitungen wurde groß darüber berichtet, natürlich auch mit Fotos. Und deine Shona sieht fantastisch auf den Bildern aus, in Natur natürlich auch“, lachte es durch die Leitung. „Übrigens habe ich gestern nur Lob über sie gehört, unsere Geschäftskunden waren hingerissen von ihr, sag ihr das bitte… oder nein, gib sie mir doch lieber direkt selbst…“
„Das… das geht nicht, sie ist nicht hier“, Tim schloss entsetzt die Augen, dieser Schmerz, den er glaubte betäubt zu haben, bahnte sich wieder seinen Weg durch den Alkoholdunst.
„Oh, ich dachte, sie wäre bei dir. Hat sie sich erholt, sie sah gestern Abend zum Schluss doch etwas mitgenommen aus?“
Tim lachte zynisch auf. „Ich denke schon, dass sie sich DAVON erholt hat.“
„Na ja, wir sehen uns ja morgen in der Firma. Hast du schon die Aufträge überschlagen? Severin sagte, es sei ein lohnender Abend gewesen.“
„Ja, war es. Wir reden morgen, okay?“, bat Tim ihn. Ihm stand nicht der Sinn danach, übers Geschäft zu reden, es war schon grausam genug, dass er morgen zur Tagesordnung übergehen musste.
„Natürlich, bis dann, Junge.“
Shona hatte jetzt das Telefon bestimmt schon tausendmal in der Hand gehabt – und es dann doch wieder weggelegt. Sie überlegte immer noch, ob sie Isabelle anrufen und ihr von dem ganzen Desaster erzählen sollte, aber ihr fehlte einfach der Mut dazu.
Sie schnappte sich einen Karton und begann, nach und nach Tims Sachen einzupacken. Seine Worte hallten dabei immer in ihrem Kopf nach, sie hatten sie sehr getroffen und verletzt.
Nein, sie wollte kein kleines Mäuschen sein, das zu allem ‚Ja’ und ‚Amen’ sagt, und sie würde immer ihre Meinung vertreten wollen. Und sie hatte doch trotzdem bewiesen, dass sie repräsentieren konnte, sie verstand einfach nicht, was jetzt so schlimm gewesen war.
War sie echt so anstrengend?
Sollte sie versuchen, sich Tims Ansprüchen zu beugen? Sie wollte doch an seiner Seite sein, wie sollte sie denn ohne ihn weiterleben? Ohne seine Liebe und ohne seine Nähe? Das schien ihr unmöglich zu sein.
Sie beschloss, noch einmal mit ihm zu reden. Vielleicht würde er morgen die Dinge ja auch ganz anders sehen, vielleicht war er nur überanstrengt und überarbeitet?
Shona räumte seine Sachen in den Mini, am liebsten würde sie sofort zu ihm fahren, noch einmal mit ihm reden, vielleicht noch ein einziges Mal…
Doch sie hielt es für besser, bis zum nächsten Tag zu warten.
Shona griff nach dem Whiskey, doch dann stellte sie die Flasche wieder zurück. Vielleicht würde Tim ja doch noch anrufen, vielleicht litt er ja genauso wie sie…
Doch der Anruf kam nicht, die ganze Nacht blieb Shona wach in ihrem Bett liegen, das Telefon fest umkrampft.
Sie fühlte sich auch gar nicht müde, sie war viel zu überdreht dazu. Sie war so unsagbar traurig, doch sie klammerte sich noch an diesen einen Strohhalm, an dieses eine Gespräch mit ihm.
Shona entschuldigte sich auf ihrer Arbeitsstelle, sie hasste es zwar, ihren Chef zu belügen, doch es war ihr unmöglich, heute dort zu erscheinen. Stattdessen fuhr sie zu Tims Wohnhaus, sie wusste ja, wann er morgens immer zur Arbeit fuhr, gegen acht Uhr wagte sie es, zu klingeln.
Tim stöhnte genervt auf, na klasse, wer war denn das so früh am Morgen? Das konnte ja nur ein Versehen sein, mürrisch betätigte er den Knopf der Gegensprechanlage. „Ja?“
„Ich bin’s, Shona.“
Tims Herz schlug sofort in einem ungesunden Tempo.
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