Typisch Mädchen
wäre es nicht am 30. März 1984 im Tagebuch anders nachzulesen. Wie oft mögen mir solche Kleinigkeiten passiert sein, daß es auf Anneli diese Wirkung hatte? Anneli zögert auch keine Sekunde, den weiblichen Begriff für die Putzperson zu ge-brauchen. Aber woher soll ich denn den Putzmann als Alibi herzaubern. Ich habe gesucht, aber ich finde - wenn überhaupt - nur Putzfrauen! Ist es also meine Schuld, wenn An-neli das Putzen eindeutig den Frauen zuordnet?
17. August 1984 (3Jahre)
Anneli und ich fahren abends noch ein wenig mit dem Rad durch die Ortschaft. In einer kleinen Seitengasse sehen wir eine große Filmplakatwand mit dem Bild einer nackten jungen Frau, die an den Händen in Eisenketten gefesselt ist und mit diesen an der Wand aufgehängt zu sein scheint. Das Gesicht der jungen Frau zeigt keinen Schmerz, kein Gefühl - es ist vielmehr wohlgeschminkt, sie hat hübsch frisierte Haare und ein kleines Lächeln auf den Lippen. Ich bin entsetzt über diesen Anblick und will ablenken, damit Anneli das Plakat nicht bemerkt. Doch vergeblich, sie hat es bereits gesehen und fragt mich: »Warum ist diese Frau nackig, Mami, und hat da Ketten so um die Hände? Ist die bös?« Innerhalb von wenigen Tagen erfährt Anneli zweimal durch die modernen Medien von Brutalität gegenüber Frauen. Kann ich mein Mädchen überhaupt so selbstbewußt erziehen, daß die Botschaft von der Frau als der Geknechteten nicht doch irgendwie in ihrem Kopf hängenbleibt und in ihrer Vorstellungswelt und der eigenen Einordnung eine Rolle spielt?
20. August 1984 (3Jahre)
Oma ist wieder einmal zu Besuch. Vor dem Schlafengehen hält sie Anneli an, ihren Spielkram aufzuräumen. Anschließend wird sie dafür entsprechend belobigt, natürlich auch von mir. Ich dachte nicht weiter darüber nach. Das Lob kam automatisch, ist ja auch schön, wenn aufgeräumt ist. Heute abend kommt sie zu mir mit den Worten: »Jetzt räum ich auf, und dann putz ich alles, und dann bin ich brav, gell, Mami.«
Christa erzählt mir folgendes:
»Heut, als ich Schorschi befahl, sein Zimmer aufzuräumen, wurde er renitent und schrie mich an: >Nein, du räumst auf!<
Als ich ihm antwortete, mir fiele es nicht im Traum ein, er solle es gefälligst selber tun, bekam ich als Antwort: >Nein, dann räumt halt die Claudia (seine Schwester) auf.«< Das kleine Mädchen stellt bereits einen Zusammenhang zwischen Bravheit, Aufräumen und sich selbst her, der kleine Bub weist diese Zumutung weit von sich und delegiert dies ausschließlich an Frauen. Sein Vater fiel ihm dabei komischerweise nicht ein.
Natürlich gibt es bei Anneli später noch genug Szenen, wo sie auch nicht aufräumen will, aber im Ursprung stellt sich die Ausgangssituation für beide Kinder doch sehr verschieden dar.
Schorschi sitzt bei mir auf dem Schoß, und wir blättern in einer herumliegenden Zeitschrift. Es taucht das große Reklamebild einer verführerisch-hilflos dreinblickenden Frau auf. Schorschi deutet darauf und sagt: »Du bist bloß eine Frau und ich ein Mann.«
22. August 1984 (3Jahre)
Anneli und ich fahren im Auto zur Stadt. Alles ist friedlich. Plötzlich und unvermittelt kommt von Anneli die Frage: »Mami, gell, ich bin ein Bua?«
Ich bin betroffen und frage zurück: »Warum fragst denn das?«
Sie: »Weil der Schorschi immer sagt >Du bist bloß a Madl, und i bin a Bua<, gell, Mami, ich bin schon ein Bua?« Es war eine herzzerreißende, dringende Frage, und sie erwartete ganz beschwörend das erlösende »Ja«. Offenbar beschäftigte sie das Problem im Innersten sehr. Ich war zu schok-kiert, um ihr jetzt im Auto das alles zu erklären, und erlöste sie mit einem Ja.
29. August 1984 (3 Jahre)
Ich erzähle Anneli und Schorschi die Geschichte vom Maulwurf Grabowski, und als ich an die Stelle komme, wo die Wiese vermessen wird, senkt sich meine Stimme. Ich erzähle langsamer und deutlicher - alles in meinem Sprachverhalten weist jetzt auf eine besondere Wichtigkeit hin. Ich sage: »Und dann sind die Männer gekommen und haben alles ausgemessen und Häuser gebaut.«
Die Kinder verstehen die Botschaft: Männer - Häuser bauen = wichtig.
30. August 1984 (3Jahre)
Anneli und ich sind bei Schorschi und Christa. Schorschi ist heute sehr knatschig und aggressiv zu Anneli. Christa verhält sich als Sohn-Mutter nicht passiv bei den Streitereien der Kinder und überläßt es nicht wie sonst dem freien Spiel der Kräfte, welches der Kinder sich durchsetzt, sondern unterstützt Anneli verbal kräftig in ihren
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