Über Alle Grenzen
gewesen waren und später eine spannende Nacht in Karmapas Nähe verbracht hatten, in der er regelrecht geleuchtet hatte. Dann folgten die grünen Berge mit denselben Polizeiposten wie das letzte Mal. Als wir abends Thimpu erreichten, die Hauptstadt Bhutans, waren unsere Freunde ungewöhnlich still. Die fruchtbaren Berge, so verschieden von den klaren trockenen Wüsten Mustangs, hatten sie stark beeindruckt. Auch verdauten noch mehrere die Sterbenden in den Straßen Kalkuttas.
Jeder konnte zwischen einem teuren, einem halbteuren und einem billigen Hotel wählen, und schon am selben Abend erfuhren wir, wem wir auch zu verdanken hatten, dass wir uns jetzt im Paradies befanden. Neben Lopön Tsechu hatte Topgala geholfen, der Sekretär Rumteks, und sogar der junge König selbst. Er hatte mein Buch “Entering the Diamond Way” gelesen, und offenbar gefiel es ihm. Obwohl ein Touristik-Minister sich ärgerte, dass er kein Geld bekam: Wir waren als “Kagyüpas” in Bhutan und nicht als Geldquelle.
Während der nächsten Tage taten wir das, wofür wir gekommen waren. Zu Fuß die Berge hoch, besuchten wir viele Stellen der Kraft. Einige besonders stark aufgeladene Höhlen, die Hannah und ich vom letzten Besuch immer noch spürten, waren leider nicht mehr zugänglich. Die Regierung versuchte verstärkt, Ausländer von den heiligsten Stellen fernzuhalten. Das war schade und verständlich zugleich. Der Qualm Zigaretten rauchender Touristen war vielleicht nicht Buddhas erste Wahl an Räucherwerk, aber die Buddhas und Bodhisattvas sind keine Herrschaften, die das eine mögen und das andere nicht. Für sie ist alles rein, und sie sind glücklich, wenn die Menschen überhaupt einen Zugang zu ihrer eigenen Buddhanatur bekommen. “Möge ich das Bett sein, wenn die Menschen müde sind”, schreibt Tenga Rinpoche in einem Gedicht.
In Thimpu sah man immer noch weiße Gesichter. Vor allem Entwicklungshelfer aus Deutschland und der Schweiz leisteten hier gute Arbeit. Dorthin, wo wir jetzt wollten, kamen sie aber selten. Der Weg nach Ost-Bhutan war erst wenige Jahre zuvor geöffnet worden. Er war anderthalbspurig gebaut, so dass man anhalten musste, wenn einem jemand entgegenkam. Unser Ziel war der erste Aufenthaltsort Karmapas nach seiner Flucht aus Tibet 1959. Er lag im Bhumtang, dem heiligsten und verborgensten Teil des Landes.
Unsere Busse krochen die zahllosen Kurven entlang. Als das Land überschaubarer wurde, gab es eine großartige, weite Aussicht in alle Richtungen. Fast jeden Kilometer mussten wir anhalten, während Arbeiter einen Erdrutsch entfernten: Es war gerade Monsunzeit, obwohl es selten an der Stelle regnete, wo wir gerade fuhren. Später beim Laufen sollte es anders werden.
Ich konnte kaum die Augen von den Arbeitern abwenden. In einer Gegend mit nur wenig Gewalt waren sie schon außerordentlich. Sie waren vom Stamm der Naga, die in regelmäßigen Abständen Tausende von Bangladeshis töteten, wenn der Überbevölkerungsdruck Ost-Pakistans sie in die Vorberge des Ost-Himalaya trieb. Es war sonderbar, in Augen und Gesichter zu blicken, die nicht auf Nähe oder Gefühlsäußerungen eingehen, sondern einfach schauen. Ich wusste, dass sie ihre Schildkröten Bein für Bein verkauften, während das Tier noch lebte, und oft Menschen in der Erwartung vergifteten, ihr gutes Karma aufzufangen. Die Bhutanesen wollten eine gute Lösung für sie finden, damit sie nicht im Land hängen blieben und die Schwierigkeiten bereiteten, die reiche und humanistische Teile der Welt heute nicht bewältigen können: Massen von unausgebildeten und kinderreichen Einwanderern mit unterdrückten Frauen, die kommen, um gut zu leben. Stattdessen landen sie in den Ghettos, werden wurzellos und verlieren, was sie in ihrem früheren Umfeld noch an Würde besaßen.
Wir wohnten in einem der Schlösser der königlichen Familie und in Gasthäusern. Die schönen Hochebenen und Kulturschätze Ost-Bhutans waren höchst beeindruckend. Es hatte sich vieles geändert seit dem ersten Reisetag, an dem unsere Freunde eine in den bhutanesischen Farben geschmückte Tankstelle gestürmt hatten, in der Annahme, es sei ein Tempel. Es war ungefähr so belustigend, wie wenn die Einheimischen Verbeugungen vor den Hubschraubern der Weißen machen im Glauben, es seien Götter. Wir hatten schon viel Unglaubliches auf den täglichen Fahrten und Wanderungen gesehen. Dennoch gab es Erfahrungen, auf die uns nichts hätte vorbereiten können, zum Beispiel der Besuch der
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