Über Alle Grenzen

Armeekleider als Schutz gegen den Nebel. So ausgerüstet genossen wir die Kurven der einmaligen Küstenberge Kaliforniens. Es war besonders spaßig, einige Hells-Angels-Gruppen zu überholen, denen so etwas überhaupt nicht gefällt. Die meisten waren aber sicher voller Drogen und versuchten erst gar nicht, uns zu folgen. Beim Doppelten der in ihrem Lande erlaubten Geschwindigkeit hätten sie gegen europäische Fahrsitten auch nicht viel Erfolg gehabt. Auf dem Weg über die Golden-Gate-Brücke glitt das Hinterrad aus, und ein Mann rief uns zu, dass es platt sei. Die letzten Meilen fuhren wir also im Schritt-Tempo, kamen aber immer noch vor den Freunden in Point Bonita zum Kurs über das Bewusste Sterben an, die die Hauptstraße von Santa Barbara aus genommen hatten.
    Roland ging es gut, seine Rolo-Boutiquen blühten. Er hielt sie bewusst unterhalb der Größe, mit der er dem Gesetz nach Mitarbeiter aus den Ghettos hätte anstellen müssen. Seine Tüchtigkeit war ein Hauptpfeiler unserer Arbeit in ganz Amerika. Später schickte ich noch Jesper aus Dänemark hinüber, und zusammen mit den Frauen, die das geistige Leben Kaliforniens sehr beherrschen, besteht ein gelungenes Gleichgewicht.
    Mehrere Europäer – wieder neun aus Frankfurt – waren angekommen. Dem Bewussten Sterben folgte ein Kurs über die Vorbereitenden Übungen in einem Versammlungshaus nördlich von San Francisco und – wie jedes Jahr üblich – ein Radio-Interview für ein wichtiges Kulturprogramm, das später wegen unzureichender “p.c.”, political correctness, von den Linken gestoppt wurde.

    Der nächste Kurs über das Bewusste Sterben fand im Regenwald auf Maui statt, und Bewohner aller Hawaii-Inseln nahmen teil. Tief in den Reinen Ländern des höchsten Glücks angekommen vergaß ich einmal, dass ich auf meinem ehrenwerten Tisch vor ein paar Dutzend Neuen den Buddha vertrat. Der Freude folgend schlug ich laut lachend mit Kopf, Armen und Beinen in alle Richtungen aus. Maia betrat währenddessen den Raum, und ihr schönes Gesicht wurde um ein gutes Stück länger: Es war der völlige Gegensatz zu der “steifen Oberlippe” und dem kraftvoll-sicheren Benehmen, das ich lehre. Dort auf Hawaii, unter den mittlerweile erwachsenen Blumenkindern der 60er Jahre, störte so etwas wenig, aber ich habe seither sehr aufgepasst, wenn ein grenzenloses Erlebnis anfängt, sich einen körperlichen Ausdruck zu suchen. Dadurch wird die Wonne keineswegs eingeengt.

    Dan war sehr zufrieden mit meinem Segen für seinen Job, bei dem er mit riesigen Entschädigungsgeldern für Unfallopfer arbeitete. Aus Dankbarkeit ließ er zweitausend Dollar, ein Prozent seines letzten Gewinns, unmittelbar in mein englisches Buch über die Vorbereitenden Übungen einfließen. Es lag schon zum Druck bereit. Goshir Gyaltsab hatte das Vorwort geschrieben, und wie die durch Irmtraut und Gabi verbesserte deutsche Ausgabe war es genau das, was die englischsprachige buddhistische Welt brauchte: mehr Praxis und weniger geistiges Durcheinander. Mit dieser Hilfe und je eintausend Dollar von Tomek und Roland sowie den Mitteln aus dem Verkauf von früheren Büchern konnten wir die ersten fünftausend Bücher drucken lassen.
    Acht wunderbare Tage bei Jason und Dechen wurden für weitere Manuskripte verwendet. Wir nahmen uns diesmal auch die Zeit, tief in den beeindruckenden Riesenkrater der Insel zu wandern. Er ist der größte der Welt, in dem die ganze Manhattan-Insel mitsamt Wolkenkratzern verschwinden könnte.

    In Frankfurt warteten wieder viele Freunde am Flughafen. Nach einem Stopp im Hamburger Zentrum, in dem sich die Freunde über einige Angriffe einer tugendhaften Gelugpa-Nonne auf unseren lebendigen Buddhismus schlapp lachten, erreichten wir todmüde Kopenhagen. Es war fünf Minuten vor der ersten Einweihung im Westen auf den 15. Karmapa. Außer all den Wundern, die jeder Karmapa vollbringt, hatten seine Frauen zwölf hohe Wiedergeburten geboren; unter ihnen befand sich die 11. Reinkarnation des Shamarpas, der zum damaligen Zeitpunkt aufgrund der Opposition der Gelugpa-Regierung nicht auf seinen Thron gesetzt werden konnte. So etwas können kraftvolle Laien verstehen, und neben dieser Einweihung wünschten sie sich besonders die Ermächtigung auf den stark im Leben stehenden Marpa.
    Am nächsten Morgen fuhren Hannah, Pedro und ich für eine Woche nach Karma Gön. Pedro klopfte die Einheimischen nach Möglichkeiten ab, mehr Land zu kaufen. Neben dem Hauptzentrum in “Atalaya Alta”