Über Alle Grenzen
endgültig eroberten, flüchteten sie mit Chiang Kai Shek nach Taiwan und gründeten dort Zentren. Anstatt zusammenzuarbeiten, kämpfen sie heute leider gegeneinander um Ansehen. Kunga Ani hat beispielsweise unter den Altchinesen eine schwierige Stellung, weil sie nicht lebenslang Nonne war.
Der Nationalfeiertag Chinas im Oktober, Ten Ten, wie er nach dem Datum (10.10.) heißt, war keine schöne Sache. So ein Schauspiel war meiner Altersgruppe in Westeuropa erspart geblieben. Hier marschierte das lebende “1984” von George Orwell einen Tag lang auf und ab. Auf dem Hauptplatz Taipehs stampften dichte Kolonnen stundenlang an einer Bühne mit dem Sohn von Chiang Kai Shek vorbei. Von Feuerwehrleuten bis hin zu Bäckern war das Volk vertreten. Alle waren um die 160 Zentimeter groß und hatten denselben Gesichtsausdruck. Die Eintönigkeit wurde nur von ein paar Kung-Fu-Auftritten unterbrochen. Die Leute verbogen Eisenrohre oder zersplitterten sich gegenseitig Bretter auf dem Kopf - dann ging der Gleichschritt weiter. Für einen gebildeten Westeuropäern war es nur furchtbar. Eine solche Menschenverachtung war uns bisher nur in den moslemischen Ländern begegnet. Die Chinesen jedoch schienen darauf stolz zu sein. Sogar die aufgeschlossene Show Loong verstand nicht, warum mich das Ganze so befremdete.
Die Einladungen häuften sich, aber die zehn Tage reichten nur für Taipeh. Dennoch konnte ich die ganze Insel besichtigen. Show Loong hatte sofort den anderen erzählt, dass ich einen Tag eher abreisen würde, und einen Bus zu ihrer Familie und Freunden im Süden der Insel gebucht. Innerhalb des hier sehr verknöcherten Buddhismus war sie eine zukunftsweisende Kraft.
Für Hongkong blieben zehn Tage Zeit. Die Briefmarken waren billig und wurden nicht wie in Indien wieder abgelöst und erneut verkauft. Von Hongkong wurde bei jedem späteren Besuch kiloweise Post nach Amerika und Europa verschickt, die auch immer ankam.
Ein paar Dutzend jüngere Chinesen besuchten meine Belehrungen. Sie waren froh, etwas für das Leben zu lernen. Es gab aber ständigen Widerstand aus den Reihen der alten Geldgeber. Sie dachten, dass nur “Alleinschläfer” etwas zu lehren hätten. Langweilige, steife Leute waren der Grund, dass das Zentrum niemals ein Angebot für das - zumindest äußerlich - moderne Hongkong wurde. Von den reisenden Lehrern wurde es als Zwischenstation verwendet, während die Lamas, die dorthin versetzt wurden, bald flüchteten. Der Oberspuk an dieser Stelle war eine Mrs. Wong.
In Bangkok segnete ich ein Kloster voll uralter Chinesinnen, Schülerinnen von Kunga Ani. Der ganze Bau fühlte sich unglaublich verstaubt an und lag mitten im Vergnügungsviertel Bangkoks. Ich gab das vorbereitende Bewusste Sterben und hätte auch sehr gerne Belehrungen über den Geist gegeben. Zum ersten Mal in meiner Zeit als Lama war es aber unmöglich, einen Übersetzer aufzutreiben. Die kleinen Damen hatten offenbar nicht das Karma dazu, und das tat mir Leid.
Hannah hatte für Bokar Tulku und den lächelnden Khenpo Dönyö in Skandinavien und Norddeutschland übersetzt. Wir begegneten uns in Heidelberg wieder, wo mit Ramona, Katrin, Christoph, Günther, Stephan und anderen Freunden in den frühen 90er Jahren endlich ein starkes Zentrum entstand. Von da ging die Fahrt durch Deutschland in Kims Zwölfzylinder-Jaguar. Unser nächstes Ziel war die schöne Sys, eine enge Freundin von Kurt, die in der Nähe des Münchner Olympiaparks wohnte.
Sie entwickelte die heutige Form unserer Zusammenarbeit und schuf mit ihrem Genie das Modell der “so wenig wie möglich und so viel wie nötig”-Organisation. Sie plante auch lange meine europäischen Reisen und nutzte ihr viel zu kurzes Leben einmalig. Vom spannenden Schwarzenberg aus, unserem Landzentrum im Alpenvorland, wo sich ständig ein großer Teil meines Herzens befindet, hielt sie unsere Welt zusammen. Schwarzenberg war unser aller Kleinod. Ich bin hier “Resident Lama” und die Stelle war ein Beispiel dafür, was Vertrauen, Freundschaft und Idealismus bewirken können.
Leider wurde einige Jahre später die Stelle wegen einiger stolzer Freunde in ihren Grundprinzipien erschüttert und einige verließen die Diamantweg-Gruppe. Das wäre mit Sys’ Vorausschau und ihren Bindungsfähigkeiten sicher nicht geschehen. Nach einigen Jahren der Verarbeitung strahlt unser Schwarzenberg wieder und die Freunde kommen aus allen Himmelsrichtungen für Zurückziehungen, Kurse und Feste.
Bokar
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