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Über Bord

Titel: Über Bord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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dich zu erholen! Ich verspreche dir hoch und heilig, dass ich ganz still und brav neben dir liege, bis es dir wieder besser geht.«
    Aber es half nichts, er zog sich an und verschwand. Als das Schiff längst wieder Fahrt aufgenommen hatte und Ellen zum Abendessen ging, saß niemand sonst an ihrem Tisch. Beunruhigt und ratlos bestellte sie nach längerer Wartezeit ihr Menü, aber sie hätte hinterher kaum sagen können, was sie gegessen hatte. Sollte sie bei Gerd und Ortrud anrufen und fragen, was los war? Sie hatte Hemmungen.
    »Na, ganz allein und völlig in Gedanken?«, fragte Valerie plötzlich hinter ihr. »Wo sind deine Tischgenossen geblieben? Magst du dich zu uns setzen?«
    Immer noch besser bei den Hundefängern als einsam an einem Vierertisch, dachte Ellen, vielleicht sogar besser als in der Kabine. Andererseits – wenn Gerd sie erreichen wollte, würde er dort anrufen.
    »Ich weiß zwar, dass meine Tochter eine Party feiert, habe aber keine Ahnung, wo die Dornfelds abgeblieben sind. Wahrscheinlich vertragen sie den Mistral genauso wenig wie ich«, sagte sie.
    Nun gesellte sich auch Ansgar dazu. »Ich sah Gerd vorhin mit dem Lift in die Katakomben fahren«, meinte er. »Ich bin zwar nur ein Tierarzt, aber so viel kann ich auch einem Zweibeiner ansehen: Dem ging es gar nicht gut.«
    Ellen machte sich Sorgen, mochte aber nicht darüber reden, sondern verabschiedete sich mit der Ausrede einer einsetzenden Migräne. In ihrer Kabine schaltete sie den Fernseher an, ohne jedoch den Ton einzustellen. Ein leises Geräusch war jetzt neben dem üblichen Tuckern zu hören, es regnete draußen, außerdem war der Wellengang stärker geworden. Es war kurz nach zehn, viel später konnte man eigentlich nicht anrufen, ohne unhöflich zu sein. Also fasste sich Ellen ein Herz und wählte die Nummer der Dornfelds.
    »Gerd?«, fragte Ortrud.
    »Nein, ich bin’s, Ellen. Ich wollte fragen, warum ihr nicht zum Essen«
    »Dazu könnte ich dich auch einiges fragen. Am besten kommst du jetzt zu mir, du kennst doch die Kabinennummer? Ein Deck über dir…«
    Was war geschehen? Ellen klopfte das Herz, aber jetzt galt es, gelassen zu bleiben. Hatte Ortrud Verdacht geschöpft, und es war eine gemeine Falle? Ihre Stimme hatte nicht ganz nüchtern geklungen, aber sie hatte auch nicht gelallt. Also zog sich Ellen eine Jacke über und machte sich auf den Weg.

21

    Unterdessen hatte Amalia auf der russischen Yacht ziemlich viel Wodka konsumiert, war dadurch aber nicht aufgekratzt, sondern müde geworden. Sie schlief auf einem wackligen Liegestuhl ein und bekam von der ganzen Fete nichts mehr mit, bis die Knallerei eines Feuerwerks sie abrupt aus ihren Träumen riss. Es dauerte nicht lange, bis die Polizei anrückte, weil es für die nächtliche Ruhestörung keine Genehmigung gab und die Anwohner sich beschwerten. Der Gastgeber musste eine Strafgebühr zahlen, die Musiker sollten sich verkrümeln, die fröhliche Stimmung war vorbei.
    Doch die Flics des berühmten Sündenbabels hatten ein Herz für die Kunst. Die A-cappella-Sänger durften zum Abschluss das Brahmslied Guten Abend, gute Nacht singen , und niemand konnte dem Zauber dieser Melodie widerstehen. In Amalia erwachte der Ehrgeiz, nicht als Statistin danebenzustehen. Mit dem ungewohnten Wässerchen hatte sie ihre Hemmungen hinuntergespült. Zum ersten Mal im Leben legte sie eine Solonummer hin. Der Mond ist aufgegangen erklang so kindlich rührend, dass Amalia von einer weinenden russischen Blondine abgeschmatzt wurde, während die Nachfolger von Louis de Funès den Veranstalter ermahnten, jetzt endgültig Schluss zu machen. Die deutschen Sänger nebst ihrem Maskottchen wurden verabschiedet und fragten sich besorgt, wo sie nächtigen sollten. Alle hatten damit gerechnet, auf der Yacht ein Bett zu finden, außerdem hatte man ihnen bis jetzt keinen Cent der versprochenen Gage ausgezahlt. Zwei Hotels, bei denen man anfragte, waren bis auf ein Zimmer belegt; nach einigem Hin und Her beschloss der Bariton, mit Amalia das Hotelbett zu teilen – und es auch zu bezahlen –, was wiederum dem Tenor nicht passte. Die zum Quartett geschrumpften Sängerknaben hielten sich noch eine Weile in einer Bar auf, aber als dort dichtgemacht wurde, standen sie wieder auf der Straße. Sie kamen sich vor wie Clochards, als sie in dunkler Nacht frierend unter Sonnenschirmen saßen und schließlich auch noch von Regen überrascht wurden, was weder ihrer Laune, ihrer Kleidung noch ihren empfindlichen Stimmen

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