Über das Sterben
eigentliche Schriftstück, wie der folgende Fall zeigt.
Ein herzkranker Patient hatte vier Gespräche mit seinem Hausarzt geführt, um eine Patientenverfügung zu erstellen. Zwei Tage vor dem geplanten abschließenden Gespräch, in dem er die Patientenverfügung schriftlich verfassen und unterschreiben wollte, kam es zum befürchteten Herzinfarkt und als Folge zu einem schweren Hirnschaden. Der Patient wurde auf die Intensivstation aufgenommen, wo man uns als Palliativmediziner mit dem Fall konfrontierte. Es gab keine Patientenverfügung, aber die Ehefrau wies uns auf die erfolgten ausführlichen Gespräche mit dem Hausarzt hin. Nach Rücksprache mit diesem waren wir in der konkreten Situation – trotz des Fehlens eines schriftlich niedergelegten Willens – viel besser über die Vorstellungen des Patienten und die Hintergründe seiner Entscheidung informiert, als wenn er nur im stillen Kämmerlein irgendein Formular ausgefüllt hätte. Die stattgefundene Kommunikation zwischen Arzt und Patient hat es ermöglicht, mit bestem Wissen und Gewissen den mutmaßlichen Patientenwillen zu ermitteln und diesem Willen auch Geltung zu verschaffen.
Tipp: Die Verbindung einer Patientenverfügung mit einer Vorsorgevollmacht und die Besprechung der eigenen Wünsche und Vorstellungen mit dem Bevollmächtigten und dem Hausarzt bzw. behandelnden Arzt bieten die besten Voraussetzungen dafür, dass die eigenen Wünsche am Lebensende auch tatsächlich respektiert werden.
Was passiert, wenn keine Patientenverfügung vorhanden ist?
Kein Mensch ist gezwungen, eine Patientenverfügung zu erstellen. Sie ist auch nicht unbedingt jedermanns Sache. Es gibt Menschen, die sich lieber auf die Entscheidung ihres Bevollmächtigten oder ihrer Ärzte verlassen, als sich im Voraus mit diesen Fragen zu beschäftigen, was absolut legitim ist.
Wenn keine Patientenverfügung vorhanden ist, muss laut dem neuen Gesetz die Entscheidung über mögliche Therapiemaßnahmen (die immer gemeinsam von Arzt und Patientenvertreter, das heißt Betreuer oder Bevollmächtigtem, zu treffen ist) auf der Basis der konkreten Behandlungswünsche (sofern bekannt, weil z.B. vor Zeugen mündlich geäußert) oder des sogenannten mutmaßlichen Willens des Patienten getroffen werden. Arzt und Patientenvertreter versuchen also, sich der Antwort auf die Frage zu nähern: «Wie würde der Patient selbst entscheiden, wenn man ihn hier und jetzt aufklären und befragen könnte?» Hierzu sind nach dem Gesetz «insbesondere frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Betreuten» zu berücksichtigen (§ 1901a Abs. 2 BGB). Dabei «soll nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen des Betreuten Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden, sofern dies ohne erhebliche Verzögerung möglich ist» (§ 1901b Abs. 2 BGB). Diese Einbeziehung verschiedener Informationsquellen dient dazu, den mutmaßlichen Willen des Patienten möglichst genau zu ermitteln. Dabei geht es ausdrücklich
nicht
um die Wünsche, welche der Betreuer oder die Angehörigen selbst im Hinblick auf den Patienten haben, sondern nur um die Frage, was
er oder sie jetztselbst
wünschen würde. Dazu ein Beispiel aus der unmittelbaren Erfahrungswelt des Verfassers:
Meine Eltern kommen langsam in das Alter, in dem sich die Frage nach dem möglichen Vorgehen im Falle einer schweren Erkrankung unweigerlich stellt. Wir haben schon wiederholt darüber gesprochen und insbesondere die Fälle der Demenz und des Wachkomas sowie eines schweren Gehirnschadens (z.B. infolge eines Schlaganfalls) diskutiert. Dabei stellte sich eine sehr unterschiedliche Haltung heraus: Meine Mutter möchte im Falle einer Gehirnschädigung mit dauerhafter Unfähigkeit zur Kommunikation die sofortige Einstellung aller lebenserhaltenden Maßnahmen. Mein Vater hingegen gehört als kirchentreuer Katholik zu jenen Menschen, die für sich auch im Falle eines Wachkomas die dauerhafte Ausschöpfung aller medizinischen Möglichkeiten zur Lebensverlängerung wünschen. Für mich als Bevollmächtigten von beiden bedeutet dies, dass im Falle einer Krankheit mit schwerer Gehirnschädigung bei meinen Eltern die Entscheidung ganz anders ausfallen müsste, je nachdem, ob es sich um meinen Vater oder meine Mutter handelt – und dies völlig unabhängig von meiner eigenen persönlichen Einstellung zu diesem Thema. Denn es geht nicht darum, den Wünschen des
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