Über den Fluß und in die Wälder
einmal bei ihr zu Hause anrufen.»
Der Colonel trank, was Arnaldo, der glasäugige Kellner, für ihn zubereitet hatte. Er hatte keine Lust darauf und wußte, daß es schlecht für ihn war.
Aber er nahm das Glas mit dem Vernichtungsdrang eines alten Wildebers, wie er sein ganzes Leben lang alles genommen hatte, und er bewegte sich, immer noch katzenhaft, wenn er sich bewegte, allerdings jetzt wie eine alte Katze, zu dem offenen Fenster hinüber und blickte hinaus auf den großen Kanal, der jetzt so grau war, als ob ihn Degas an einem seiner grauesten Tage gemalt hatte.
«Danke vielmals für den Campari», sagte der Colonel, und Arnaldo, der ins Telefon hineinsprach, nickte und lächelte sein glasäugiges Lächeln. Wenn er doch nur nicht das Glasauge haben müßte, dachte der Colonel. Ich liebe nur Leute, die gekämpft haben oder die verstümmelt sind, dachte er.
Andere Leute waren nett, und man mochte sie und war gut Freund mit ihnen. Aber wahre Zärtlichkeit und Liebe empfand man nur für die, die dabeigewesen waren und die das durchgemacht hatten, was jeder durchmacht, der lange genug dabei ist.
Also bin ich ein Krüppelliebhaber, dachte er und trank den ungewollten Campari. Und ich liebe also jeden Schweinehund, der schwer verwundet worden ist, und jeder wird’s, der lange genug dabei ist.
Ja, sagte sein anderes, besseres Ich. Du liebst sie.
Ich möchte lieber niemanden lieben, dachte der Colonel. Ich möchte lieber vergnügt sein.
Und vergnügt sein, sagte sein besseres Ich, vergnügt sein kannst du nicht, wenn du nicht liebst.
Schön. Ich liebe mehr als sonst irgendein Schweinehund auf dieser Welt, sagte der Colonel, aber nicht laut.
Laut sagte er: «Was haben Sie am Telefon erreicht, Arnaldo?»
«Cipriani ist noch nicht da», sagte der Kellner. «Man erwartet ihn jeden Augenblick, und ich halte die Verbindung für den Fall, daß er kommt.»
«Ein kostspieliges Verfahren», sagte der Colonel. «Lassen Sie sich einen Bericht über die Anwesenden geben, damit wir keine Zeit verlieren. Ich will genau wissen, wer da ist.»
Arnaldo sprach behutsam in die Sprechmuschel des Telefons.
Er bedeckte die Öffnung des Apparates mit seiner Hand und sagte: «Ich spreche mit Ettore. Er sagt, Barone Alvarito sei nicht da. Graf Andrea sei da, und er ist ziemlich betrunken, sagt Ettore, aber nicht so betrunken, daß Sie sich nicht miteinander amüsieren würden. Die Gruppe von Damen, die jeden Nachmittag vorbeikommt, ist da, und dann ist eine griechische Prinzessin da, die Sie kennen, und noch ein paar Leute, die Sie nicht kennen, und sonst noch allerlei Pack vom amerikanischen Konsulat, die schon seit Mittag da sind.»
«Sagen Sie ihm, er möchte zurückrufen, wenn das Pack geht; dann werde ich rüberkommen.»
Arnaldo sprach in den Apparat hinein, dann wandte er sich dem Colonel zu, der aus dem Fenster auf die Kuppel der Dogana blickte. «Ettore sagt, er wird sich bemühen, sie zum Aufbruch zu bewegen, aber er fürchtet, daß Cipriani es nicht gern sehen wird.»
«Sagen Sie ihm, daß er sie nicht zum Aufbruch treibt. Die brauchen heute nachmittag nicht zu arbeiten, und es liegt kein Grund vor, warum sie sich nicht wie jeder andere Mensch betrinken sollen. Ich will sie bloß nicht sehen.»
«Ettore sagt, er wird zurückrufen. Er sagte mir, ich solle Ihnen ausrichten, daß die Stellung seiner Meinung nach durch ihre eigene Schwere fallen wird.»
«Danken Sie ihm für die Auskunft», sagte der Colonel.
Er beobachtete eine Gondel, die sich gegen den Wind den Kanal hinaufarbeitete, und dachte: nicht mit saufenden Amerikanern. Ich weiß, sie langweilen sich. Selbst in dieser Stadt. Ja, sie langweilen sich in dieser Stadt. Ich weiß, es ist kalt hier, und ihre Gehälter sind unzureichend, ich weiß, was Brennmaterial kostet. Ich bewundere ihre Frauen in ihrem heldenhaften Bemühen, Keokuk nach Venedig zu verpflanzen, und ihre Kinder sprechen bereits italienisch wie kleine Venezianer. Aber heute mal keine snapshots, Jack. Heute wollen wir uns mal um die snapshots, den Barklatsch, die unerwünschten kameradschaftlichen Drinks und die langweiligen Leiden des Konsulardienstes drücken.
«Heute mal keinen zweiten, dritten und vierten Vizekonsul, Arnaldo.»
«Es gibt eine Reihe sehr netter Leute auf dem Konsulat.»
«Jawohl», sagte der Colonel. «1918 war ein verdammt netter Konsul hier. Jeder mochte ihn gern. Ich muß mal sehen, vielleicht kann ich mich an seinen Namen erinnern.»
«Sie können sich sehr weit
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