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Über den Fluß und in die Wälder

Über den Fluß und in die Wälder

Titel: Über den Fluß und in die Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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wer sie gebaut hat. Verflucht noch mal, ich wünschte, ich könnte mein ganzes Leben lang in dieser Stadt umherschlendern. Mein ganzes Leben lang, dachte er. Was für ein Witz das ist. Zum Totlachen, zum Krepieren. Ein spastischer Spaß.
    Los doch, mein Junge, sagte er zu sich. Kein Pferd, das ‹Trübsal› heißt, hat je ein Rennen gewonnen.
    Außerdem dachte er, als er im Vorübergehen in die Schaufenster der verschiedenen Geschäfte blickte – der charcuterie mit den Parmesankäsen und den Schinken aus San Daniele und den Würsten und den Flaschen mit gutem schottischem Whisky und echtem Gordon Gin, dem Schmiedewarengeschäft, dem des Antiquitätenhändlers mit einigen guten Stücken und ein paar alten Landkarten und Drucken, einem zweitklassigen Restaurant, das kostspielig als erstklassiges aufgezogen war – und dann an die erste Brücke kam, die einen Seitenkanal kreuzte, mit Stufen, die erklettert werden mußten – ich fühl mich gar nicht so schlecht. Da ist nur das Sausen. Ich erinnere mich, als das anfing, und daß ich dachte: vielleicht sind’s siebenjährige Heuschrecken in den Bäumen, und ich mochte den jungen Lowry nicht gern deswegen fragen, aber ich tat’s. Und er antwortete: «Nein, General. Ich höre keine Grillen und keine siebenjährigen Heuschrecken. Die Nacht ist vollkommen still, bis auf die üblichen Geräusche.»
    Dann, als er hinanstieg, fühlte er die stechenden Schmerzen, und als er auf der anderen Seite hinunterschritt, sah er zwei wunderschön aussehende Mädchen. Sie waren bezaubernd und hutlos, ärmlich, aber schick gekleidet, und sie redeten äußerst geschwind aufeinander ein, und der Wind blies in ihr Haar, als sie mit ihren langen, weitausschreitenden venezianischen Beinen hinanstiegen, und der Colonel sagte zu sich, ich hör lieber auf mit dem Schaufenstergaffen hier in dieser Straße. Nimm die nächste Brücke, und zwei Karrees danach biegst du scharf rechts ab und gehst immerzu geradeaus, bis du bei Harry drin bist.
    Genau das tat er. Er hatte zwar die stechenden Schmerzen auf der Brücke, aber er ging mit seinem alten, gewohnten Schritt und sah nur flüchtig die Leute, an denen er vorbeikam. Was für eine Menge Sauerstoff in der Luft ist, dachte er, als er gegen den Wind anging und tief atmete.
    Dann zog er die Tür von Harry‘s Bar auf und war drinnen, und er hatte es wieder einmal geschafft und war zu Hause.
    An der Theke sagte ein großer, sehr großer Mann mit einem abgelebten, aristokratischen Gesicht, vergnügten blauen Augen und den langen, lockergelenkigen Gliedern eines Büffet-Wolfs: «Mein greisenhafter und versumpfter Colonel.»
    «Mein verruchter Andrea.»
    Sie umarmten einander, und der Colonel fühlte das rauhe Gewebe von Andreas gutaussehender Tweedjacke, die mindestens ihre zwanzig Dienstjahre hinter sich hatte.
    «Sie sehen wohl aus, Andreas», sagte der Colonel.
    Es war eine Lüge, und sie wußten es beide.
    «Es geht mir auch gut», sagte Andrea und wiederholte die Lüge. «Ich muß sagen, ich hab mich nie wohler gefühlt. Sie selbst sehen auch außerordentlich wohl aus.»
    «Danke, Andrea. Wir gesunden Halunken werden das Erdreich besitzen.»
    «Sehr gute Idee. Ich muß sagen, es wär mir schon recht, etwas Erdreich in Besitz zu nehmen.»
    «Sie haben keinen Riecher. Sie werden über sechs Fuß vier besitzen.»
    «Sechs Fuß sechs», sagte Andrea, «Sie verruchter alter Kerl, Sie. Placken Sie sich immer noch mit der vie militaire?»
    «So sehr placke ich mich nicht», sagte der Colonel. «Ich geh von hier nach San Relajo zur Jagd.»
    «Ich weiß, aber lassen Sie jetzt mal Ihre spanischen Witze beiseite. Alvarito hat Sie gesucht. Er läßt Ihnen sagen, daß er wieder herkommt.»
    «Gut. Ist Ihre schöne Frau und sind die Kinder wohlauf?»
    «Völlig, und ich soll Sie von allen grüßen, falls ich Sie sehen würde. Sie sind unten in Rom. Da kommt Ihre Freundin, oder eine Ihrer Freundinnen.» Er war so groß, daß er in die jetzt beinahe dunkle Straße hinaussehen konnte, und dies war ein Mädchen, das man erkennen konnte, selbst wenn es viel dunkler war als zu dieser Stunde.
    «Bitten Sie sie, mit uns hier etwas zu trinken, bevor Sie sie an den Tisch da hinten in der Ecke verschleppen. Was für ein wunderschönes Mädchen, nicht wahr?»
    «Das ist sie.»
    Dann betrat sie den Raum, strahlend in ihrer Jugend und weitausschreitenden Schönheit und der Unbekümmertheit um ihr vom Wind zerzaustes Haar. Sie hatte eine matte, beinah olivfarbene Haut, ein

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