Über den Fluß und in die Wälder
sagten dem Colonel nichts.
«Sind die lesbisch?» fragte er das Mädchen.
«Ich weiß es nicht», sagte sie. «Das sind alles sehr gute Leute.»
«Ich würde denken, daß sie lesbisch sind. Aber vielleicht sind es auch nur gute Freundinnen. Vielleicht sind sie beides. Mir ist das ganz gleich, und es sollte keine Kritik sein.»
«Du bist lieb, wenn du so freundlich bist.»
«Glaubst du, daß das Wort ‹freundlich› von ‹Freund› abgeleitet ist?»
«Ich weiß nicht», sagte das Mädchen, und sie ließ ihre Finger leicht über die narbige Hand gleiten. «Aber ich liebe dich, wenn du freundlich bist.»
«Ich werde mir sehr große Mühe geben, freundlich zu sein», sagte der Colonel. «Wer glaubst du wohl, wer der Dreckskerl da an dem Tisch hinter ihnen ist?»
«Sehr lange bleibst du nicht freundlich», sagte das Mädchen. «Wir wollen Ettore fragen.»
Sie musterten den Mann an dem dritten Tisch. Er hatte ein sonderbares Gesicht, wie ein überlebensgroßes, enttäuschtes Wiesel oder Frettchen. Es sah so verwüstet und pockennarbig aus wie eine Mondlandschaft, wenn man sie durch ein billiges Fernrohr betrachtet, und der Colonel fand, daß es wie Goebbels Gesicht aussah, sollte Herr Goebbels je in einem brennenden Flugzeug gewesen sein, ohne herauszukönnen, bevor die Flammen ihn erreichten.
Über diesem Gesicht, das pausenlos umherspähte, als könne man durch eine genügende Anzahl gut gezielter Blicke und Fragen die Antwort finden, war schwarzes Haar, das mit Menschenhaar nichts gemein zu haben schien. Der Mann sah aus, als hätte man ihn skalpiert und ihm das Haar dann wieder aufgesetzt. Sehr interessant, dachte der Colonel. Kann das ein Landsmann von mir sein? Muß wohl.
Ein bißchen Speichel rann aus seinen Mundwinkeln, während er um sich spähte und mit einer ältlichen, gesund aussehenden Frau sprach, die neben ihm saß. Sie sieht wie Jedermanns Mutter auf einer Abbildung in The Ladies’ Home Journal aus, dachte der Colonel. The Ladies’ Home Journal war eine der Zeitschriften, die in der Offiziersmesse in Triest regelmäßig eintrafen, und der Colonel durchblätterte sie, wenn sie kam. Es ist eine fabelhafte Zeitschrift, dachte er, weil sie Erotik mit wunderbaren Fressalien kombiniert bringt. Macht einen hungrig auf beides.
Aber wer mag wohl der Kerl da sein? Er sieht wie die Karikatur von einem Amerikaner aus, den man zur Hälfte durch einen Fleischwolf gedreht und dann leicht in Öl gebraten hat. So sehr freundlich bin ich nicht, dachte er.
Ettore mit seinem ausgemergelten Gesicht, seinem Hang zu spötteln und seiner angeborenen und eingefleischten Respektlosigkeit kam an den Tisch heran, und der Colonel sagte: «Wer ist denn diese gespenstische Type da drüben?» Ettore schüttelte den Kopf.
Der Mann war klein und dunkel, mit glänzendem schwarzem Haar, das nicht zu seinem seltsamen Gesicht zu passen schien. Der Colonel fand, daß es aussah, als hätte er beim Älterwerden vergessen, seine Perücke zu wechseln. Hat aber ein fabelhaftes Gesicht, dachte der Colonel. Sieht aus wie manche Hügel um Verdun herum. Ich glaube nicht, daß es Goebbels ist und daß er sich dieses Gesicht in den letzten Tagen zugelegt hat, als sie alle Götterdämmerung spielten. Komm süßer Tod, dachte er. Na, und ob die sich ein schönes großes Stück süßen Tod zum Schluß eingehandelt hatten.
«Sie möchten wohl nicht ein hübsches Süßer-Tod-Sandwich, Miss Renata?»
«Ich glaube nicht», sagte das Mädchen. «Obschon ich Bach liebe und überzeugt davon bin, daß Cipriani es machen könnte.»
«Ich hab nichts gegen Bach gesagt», sagte der Colonel.
«Ich weiß.»
«Teufel noch mal», sagte der Colonel. «Bach hat beinahe auf unserer Seite mitgekämpft. So wie du auch», sagte er.
«Ich finde, wir sollten nichts gegen mich sagen.»
«Tochter», sagte der Colonel. «Wann wirst du kapieren, daß ich mir einen Scherz gegen dich erlauben darf, weil ich dich liebe?»
«Jetzt», sagte sie. «Ich hab’s kapiert. Aber weißt du, es ist vergnüglicher, wenn man nicht zu derbe Scherze macht.»
«Gut. Ich hab’s kapiert.»
«Wie oft denkst du in der Woche an mich?»
«Die ganze Zeit.»
«Nein, sag mir die Wahrheit.»
«Die ganze Zeit über, wirklich.»
«Glaubst du, daß es jeden so schlimm packt?»
«Das weiß ich nicht», sagte der Colonel. «Das ist etwas, was ich nicht weiß.»
«Ich hoffe, daß es nicht jeden so schlimm packt. Ich hatte keine Ahnung, daß es so schlimm sein könnte.»
«Na, jetzt
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