Über den Fluß und in die Wälder
weißt du’s.»
«Ja», sagte das Mädchen. «Jetzt weiß ich’s. Ich weiß es jetzt und für immer und für alle Ewigkeit. Ist dies der korrekte Ausdruck dafür?»
«‹Ich weiß es jetzt› genügt völlig», sagte der Colonel. «Ettore, diese Type mit dem anregenden Gesicht und der nett aussehenden Frau wohnt doch nicht im Gritti, oder doch?»
«Nein», sagte Ettore. «Er wohnt nebenan, aber er geht manchmal zum Essen ins Gritti.»
«Gut», sagte der Colonel. «Es wird ein erhebender Anblick für mich sein, falls ich je niedergeschlagen bin. Wer ist die Frau neben ihm? Seine Frau? Seine Mutter? Seine Tochter?»
«Da fragen Sie mich zuviel», sagte Ettore. «Wir haben ihm nicht nachgespürt. Er hat weder Liebe, Haß, Abneigung, Furcht oder Mißtrauen erregt. Wollen Sie wirklich etwas über ihn wissen? Ich könnte Cipriani fragen.»
«Wir wollen das Thema wechseln», sagte das Mädchen. «Sagt man das so bei euch?»
«Themawechsel», sagte der Colonel.
«Wo wir so wenig Zeit haben, Richard, ist es eigentlich Zeitverschwendung.»
«Ich besah ihn mir wie eine Zeichnung von Goya. Auch Gesichter sind Bilder.»
«Sieh meines an und ich will deines ansehen. Themawechsel. Der Mann ist nicht hierhergekommen, um irgendwem Böses zu tun.»
«Laß mich dein Gesicht ansehen, aber du sollst meines nicht ansehen.»
«Nein», sagte sie. «Das ist nicht fair. Ich muß mich an deines die ganze Woche über erinnern.»
«Und was tue ich?» fragte der Colonel.
Ettore, der nichts, was nach Intrige schmeckte, auslassen konnte und sich eiligst informiert hatte, wie ein Venetianer es soll, sagte:
«Mein Kollege, der in seinem Hotel arbeitet, sagt, daß er drei oder vier Highballs trinkt und dann pausenlos und fließend bis tief in die Nacht hinein schreibt.»
«Muß sich großartig lesen, sollte ich meinen.»
«Muß wohl», sagte Ettore. «Aber es ist schwerlich die Arbeitsweise von Dante gewesen.»
«Dante war auch ein vieux con», sagte der Colonel. «Ich meine als Mann, nicht als Schriftsteller.»
«Ich bin Ihrer Meinung», sagte Ettore. «Ich glaube, daß Sie niemanden außerhalb von Florenz finden, der sich mit seinem Leben beschäftigt hat, der nicht Ihre Meinung teilt.»
«Scheiß auf Florenz», sagte der Colonel.
«Ein schwieriges Manöver», sagte Ettore. «Sehr viele haben es versucht, aber nur wenige haben es geschafft. Warum mögen Sie es nicht, Colonel?»
«Zu kompliziert zum Erklären. Aber als ich ein Junge war, befand sich dort der Standort, das Depot», er sagte deposito, «von meinem alten Regiment.»
«Das kann ich verstehen. Auch ich hab meine persönlichen Gründe, warum ich es nicht leiden kann. Kennen Sie eine gute Stadt?»
«Ja», sagte der Colonel. «Diese. Ein Teil von Mailand und Bologna. Und Bergamo.»
«Cipriani hat einen großen Wodkavorrat, falls die Russen kommen sollten», sagte Ettore, der gern einen derben Witz machte.
«Die werden ihren eigenen Wodka zollfrei mitbringen.»
«Dennoch glaube ich, daß Cipriani auf sie vorbereitet ist.»
«Dann ist er der einzige, der’s ist», sagte der Colonel. «Sagen Sie ihm, er soll von den jungen Offizieren keine Schecks auf die Bank von Odessa annehmen, und besten Dank für die Angaben über meinen Landsmann. Ich will Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen.»
Ettore verließ sie, und das Mädchen wandte sich ihm zu, sah in seine stahlgrauen Augen und legte beide Hände auf seine schlimme und sagte: «Du warst sehr freundlich.»
«Und du bist unsagbar schön, und ich liebe dich.»
«Das hör ich auf jeden Fall gern.»
«Was wollen wir wegen des Essens unternehmen?»
«Ich werde zu Hause anrufen müssen und fragen, ob ich ausgehen darf.»
«Warum siehst du jetzt so traurig aus?»
«Tu ich das?»
«Ja.»
«Ich bin’s aber nicht. Ich bin so glücklich, wie ich je bin. Wirklich. Bitte, glaub mir, Richard. Aber wie war dir zumute, wenn du ein neunzehnjähriges Mädchen wärst, das einen Mann über fünfzig liebt, von dem du weißt, daß er bald sterben wird?»
«Du sagst es ein bißchen zu geraderaus», sagte der Colonel. «Aber du bist sehr schön, wenn du es sagst.»
«Ich weine niemals», sagte das Mädchen. «Niemals. Ich habe es mir zur Regel gemacht. Sonst würde ich jetzt weinen.»
«Nicht weinen», sagte der Colonel. «Ich bin jetzt ganz sanft, und zum Teufel mit allem übrigen.»
«Sag noch einmal, daß du mich liebst.»
«Ich liebe dich, und ich liebe dich, und ich liebe dich.»
«Wirst du dein möglichstes tun,
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