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Über den Fluß und in die Wälder

Über den Fluß und in die Wälder

Titel: Über den Fluß und in die Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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hätte.
    «Gott, du», sagte er. «Möchtest du dich nicht als Himmelskönigin bewerben?»
    «Das wäre sündhaft.»
    «Ja», sagte er. «Wahrscheinlich wär’s das. Ich ziehe den Vorschlag zurück.»
    «Richard», sagte sie, «nein, ich kann es nicht sagen.»
    «Sag es!»
    «Nein.»
    Der Colonel dachte: Ich befehle dir, es zu sagen. Und sie sagte: «Bitte, sieh mich niemals so an.»
    «Verzeih», sagte der Colonel. «Ich war unversehens in mein Handwerk gerutscht.»
    «Und wenn wir so etwas wie verheiratet wären, würdest du dein Handwerk dann auch zu Hause ausüben?»
    «Nein. Ich schwöre es. Das habe ich nie getan. Nicht wirklich.»
    «Mit niemandem?»
    «Mit keinem weiblichen Wesen.»
    «Ich mag nicht, wenn du ‹weibliches Wesen› sagst. Es klingt, als ob du dein Handwerk ausübst.»
    «Ich werf mein Handwerk aus dem verdammten Fenster dort in den Canal Grande.»
    «Da», sagte sie. «Siehst du, wie schnell du es ausübst.»
    «Gut», sagte er. «Ich liebe dich, und mein Handwerk kann sich leise empfehlen.»
    «Laß mich deine Hand fassen», sagte sie. «Es tut nichts. Du kannst sie ruhig auf den Tisch legen.»
    «Danke», sagte der Colonel.
    «Bitte nicht», sagte sie. «Ich wollte sie anfassen, weil ich die ganze vergangene Woche jede Nacht oder, ich glaube, fast jede Nacht von ihr geträumt habe, und es war ein seltsames Durcheinander von Traum, und ich träumte, es sei die Hand von unserem Heiland.»
    «Das ist schlimm. Das solltest du nicht tun.»
    «Ich weiß es. Aber genau das hab ich geträumt.»
    «Du machst doch den Quatsch nicht mit, oder doch?»
    «Ich weiß nicht, was du meinst, aber bitte mach dich nicht über mich lustig, wenn ich dir die Wahrheit erzähle. Ich habe geträumt, genau wie ich’s sage.»
    «Was hat die Hand getan?»
    «Nichts. Oder vielleicht ist das nicht wahr. Meistens war es einfach eine Hand.»
    «Wie diese hier?»
    Der Colonel fragte und blickte mit Abscheu auf seine verkrüppelte Hand und dachte an die beiden Male, durch die sie so geworden war.
    «Nicht wie. Es war diese. Darf ich sie vorsichtig mit meinen Fingern berühren? Oder tut es dir weh?»
    «Sie tut nicht weh. Wo es weh tut ist im Kopf, in den Beinen und den Füßen. Ich glaube, die Hand ist völlig empfindungslos.»
    «Das stimmt nicht», sagte sie. «Richard. In der Hand ist sehr viel Empfindung.»
    «Ich mag sie nicht sehr gern ansehen. Meinst du nicht, wir könnten das Thema wechseln?»
    «Natürlich. Aber du brauchst nicht von ihr zu träumen?»
    «Nein. Ich habe andere Träume.»
    «Ja, das kann ich mir vorstellen. Aber in letzter Zeit träume ich von dieser Hand. Jetzt, nachdem ich sie vorsichtig berührt habe, können wir über etwas Komisches reden, wenn du willst. Weißt du was Komisches, über das wir reden können?»
    «Wir wollen uns die Leute ansehen und über sie reden.»
    «Ja, fein», sagte sie. «Und wir wollen es ohne Bosheit tun. Nur mit allem Witz, den wir haben, du und ich.»
    «Gut», sagte der Colonel. «Kellner, ancora due Martini.»
    Er wollte nicht so laut Montgomerys bestellen, daß andere es hören konnten, weil zwei unverkennbare Engländer am Nebentisch saßen.
    Der Mann mag verwundet gewesen sein, dachte der Colonel, obschon es seinem Aussehen nach nicht sehr wahrscheinlich ist. Aber Gott soll mich vor jeder Roheit bewahren. Und sieh dir mal Renatas Augen an, dachte er. Sie sind wahrscheinlich das Schönste von all dem Schönen an ihr, mit den längsten, sittsamsten Wimpern, die ich je gesehen habe, und sie benutzt sie niemals für etwas anderes, als einen ehrlich und aufrichtig anzusehen. Verflucht noch mal, was für ein wunderschönes Mädchen, und was tu ich denn überhaupt hier? Es ist niederträchtig. Sie ist deine letzte, wahre und einzigste Liebe, dachte er; das ist doch nichts Böses. Es ist nur Pech. Nein, dachte er, es ist verdammtes Glück, du hast großes Glück.
    Sie saßen an einem kleinen Tisch in der Ecke des Raums, und rechts von ihnen an einem größeren Tisch saßen vier Frauen. Eine der vier Frauen trug Trauer, eine Trauer, die so theatralisch war, daß sie den Colonel an Lady Diana Manners erinnerte, als sie die Nonne in Max Reinhardts Mirakel spielte. Die Frau hatte ein anziehendes, pausbäckiges, von Natur vergnügtes Gesicht, und ihre Trauer paßte nicht dazu.
    An dem Tisch saß eine zweite Frau, deren Haar dreimal so weiß war, wie Haar eigentlich sein kann, dachte der Colonel. Auch sie hatte ein angenehmes Gesicht. Die Gesichter der anderen beiden Frauen

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