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Über den Fluß und in die Wälder

Über den Fluß und in die Wälder

Titel: Über den Fluß und in die Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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um nicht zu sterben?»
    «Ja.»
    «Was hat der Arzt gesagt?»
    «So-so.»
    «Nicht schlimmer?»
    «Nein», log er.
    «Dann wollen wir noch einen Martini trinken», sagte das Mädchen. «Weißt du, daß ich, bevor wir uns kennenlernten, noch nie einen Martini getrunken hatte?»
    «Ich weiß, aber du trinkst sie wie ein Alter.»
    «Solltest du nicht deine Medizin einnehmen?»
    «Ja», sagte der Colonel. «Ich sollte meine Medizin einnehmen.»
    «Darf ich sie dir geben?»
    «Ja», sagte der Colonel. «Du darfst sie mir geben.»
    Sie blieben an dem Tisch in der Ecke sitzen, und einige Leute gingen hinaus und andere kamen herein. Der Colonel fühlte sich ein bißchen schwindlig von der Medizin, und er überließ sich ihrer Wirkung. Das tut sie immer, dachte er. Verflucht noch mal.
    Er sah, daß das Mädchen ihn beobachtete, und er lächelte ihr zu. Es war ein altes Lächeln, das er schon fünfzig Jahre lang benutzte, seit er zum erstenmal gelächelt hatte, und es funktionierte noch so tadellos wie das Purdey-Jagdgewehr von Großvater. Wahrscheinlich hat’s jetzt mein älterer Bruder, dachte er. Na, er konnte immer besser schießen als ich; er hat es – verdientermaßen.
    «Hör mal, Tochter», sagte er. «Bemitleide mich nicht, ja?»
    «Das tue ich nicht. Überhaupt nicht. Ich liebe dich nur.»
    «Das ist kein sehr lohnendes Handwerk, was?» Er sagte oficio an Stelle von Handwerk, weil sie miteinander auch Spanisch redeten, wenn sie nicht Französisch sprachen, und wenn sie vor anderen Leuten nicht Englisch sprechen wollten. Spanisch ist eine grobe Sprache, dachte der Colonel, manchmal gröber als ein Maiskolben. Aber man kann in ihr alles sagen, was man meint, und es bleibt haften.
    «U n oficio bastante malo, mich zu lieben», erwiderte er.
    «Ja, aber es ist das einzige, das ich ausübe.»
    «Schreibst du denn keine Gedichte mehr?»
    «Das war Jungmädchenpoesie. Wie Jungmädchenmalerei. Jeder ist in einem gewissen Alter begabt.»
    Mit wieviel Jahren ist man in diesem Land wohl alt? dachte der Colonel. In Venedig ist nie jemand alt, aber man wird hier schneller erwachsen. Ich selbst bin im Veneto auch schnell zum Mann geworden, und ich war niemals so alt wie damals mit einundzwanzig.
    «Wie geht es deiner Mutter?» fragte er zärtlich.
    «Es geht ihr sehr gut. Sie empfängt nicht und sieht beinahe niemandem wegen ihres Kummers.»
    «Glaubst du, daß sie sich daran stoßen würde, wenn wir ein Baby bekämen?»
    «Ich weiß es nicht. Weißt du, sie ist sehr gescheit. Aber ich glaube, daß ich dann jemanden heiraten müßte. Ich möchte es eigentlich nicht.»
    « Wir könnten heiraten.»
    «Nein», sagte sie. «Ich habe es mir überlegt, und ich finde, daß wir das nicht tun sollen. Es ist einfach ein Entschluß wie der über Weinen.»
    «Vielleicht triffst du falsche Entschlüsse. Gott weiß, ich hab allerhand falsche getroffen, und zu viele Männer sind tot, nur weil ich mich geirrt habe.»
    «Wahrscheinlich übertreibst du. Ich glaube nicht, daß du viele falsche Entscheidungen getroffen hast.»
    «Nicht viele», sagte der Colonel. «Aber genügend. Drei sind reichlich in meinem Handwerk, und ich habe alle drei getroffen.»
    «Erzähl mir bitte davon.»
    «Es würde dich langweilen», sagte der Colonel zu ihr. «Ich büße meine Sünden ab, wenn ich nur an sie denke. Wie würden sie also auf einen Unbeteiligten wirken?»
    «Bin ich ein Unbeteiligter?»
    «Nein, du bist meine wahre Liebe. Meine letzte und einzigste und wahre Liebe.»
    «Hast du sie früh oder spät getroffen? – Die Entscheidungen?»
    «Ich habe sie früh getroffen, in der Mitte und spät.»
    «Willst du mir nicht davon erzählen? Ich möchte gern an deinem traurigen Handwerk Anteil haben.»
    «Zum Teufel mit ihnen», sagte der Colonel. «Ich hab sie getroffen, und ich hab für alle bezahlt. Nur, daß man für so was nicht zahlen kann.»
    «Kannst du mir nicht darüber erzählen und wieso?»
    «Nein», sagte der Colonel. Und damit hatte es sich.
    «Dann wollen wir vergnügt sein.»
    «Das wollen wir», sagte der Colonel. «Und unser allereinzigstes Leben genießen.»
    «Vielleicht gibt es noch andere Leben.»
    «Das glaube ich nicht», sagte der Colonel. «Dreh deinen Kopf seitwärts, Schöne.»
    «So?»
    «Ja, so», sagte der Colonel. «Genau so.»
    Hm, dachte der Colonel. Jetzt beginnt die letzte Runde, und ich weiß noch nicht einmal, welche Runde es ist. Ich habe nur drei Frauen geliebt, und ich habe sie alle drei verloren.
    Man verliert sie auf

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